Donnerstag, 31. Januar 2013

Auf Wiedersehen


Der erste Schultag in Moree – und ich war gleichzeitig voller Vorfreude, aber auch einigermaßen nervös. Im vergangenen Jahr hatte ich.mich hier so wohlgefühlt, hatte meine ghanaischen Schülerinnen und Schüler so schnell und so intensiv ins Herz geschlossen, dass dies für mich eine ganz besonders begeisternde und bereichernde Erfahrung in meinem Lehrerinnenleben war – und hoffentlich für immer bleiben wird.

Wie würde es aber sein, nach einem Jahr zurückzukehren? Weder hier in Moree, noch zu Hause in Deutschland ist die Zeit ja stehengeblieben. Menschen entwickeln sich weiter, Bedingungsgefüge verändern sich.  Würden überhaupt noch alle Projektbeteiligten aus dem vergangenen Jahr an der Schule sein? Die Vergangenheit kann man nicht einfach kopieren oder wiederholen… aber hoffentlich an sie anknüpfen und neue Kontakte schaffen.

Ich war also ordentlich nervös, als wir über den Schulhof auf die Gebäude zuliefen, die mir auch nach zwölf Monaten noch so vertraut vorkamen als wäre ich erst gestern nach Hause gefahren. Kleine Veränderungen sind aber dennoch sichtbar. Der Hang über den Nebengebäuden ist von Gestrüpp und Gebüsch befreit worden und man sieht ein neues Gebäude für die dort ansässige Grundschule. Eine zweite Mülltonne ist von der Senior High School angeschafft worden. Auf dem Schulhof gibt es nun nachts, wenn Abendkurse für die bildungswillige Bevölkerung von Moree stattfinden, Licht aus hohen Laternen, die durch Solarkraft (!) gespeist werden. Grüner kam es mir auch vor, und ein großer Haufen Pflastersteine zeigt an, dass hier vielleicht irgendwann demnächst mal die weiterhin unebene Erde planiert und gepflastert wird. Die Schulhofziegen sind aber weiterhin anwesend. ;-)
Thompson, der Director of Academics an der Moree Senior High Technical School, begrüßt uns sehr herzlich. Die Schülerinnen und Schüler werden einander vorgestellt und reagieren mit der zu erwartenden Schüchternheit, aber gleichzeitig auch mit sichtbarer Neugierde aufeinander. Es sind mit einer Ausnahme unbekannte Gesichter, die mich anschauen. Bridgett ist wieder mit von der Partie, was mich ganz besonders freut. Manche der knapp zwanzig anderen jungen Ghanaerinnen und Ghanaer habe ich schon im vergangenen Jahr hier oder auf dem Hof der benachbarten Junior High School gesehen, aber mit Namen kenne ich sie noch nicht. Das muss und wird sich hoffentlich bald ändern.

Thompson bittet zwei seiner Schüler, dass sie in einer Art Klassensprecherfunktion das gegenseitige Vorstellen leiten, während Bruno, Ronny, Frau Leiters und ich im Verwaltungstrakt den Schulleiter Peter Yartel-Kubin treffen und erneut sehr freundlich begrüßt werden.

Schon auf dem Weg dorthin sehe ich aber die ersten mir aus dem vergangenen Jahr noch ganz vertrauten Gesichter. Mary isu da, neben ihr aus dem Fenster eines Klassenraums lehnend ihre beste Freundin Philomena. Beide rufen eine begeisterte Begrüßung. Ich denke fast, dass sie uns schon aus der Ferne haben kommen sehen. Nur ein paar Schritte weiter winkt mir Sophia entgegen, zieht Francis aus dem Klassenraum und macht ihn darauf aufmerksam, dass wir angekommen sind. Vor dem Büro des Schulleiters schließlich sehe ich noch Vincent, der mir zuruft: „I’ll come and talk to you later, Madam!“

Und das tun sie im Verlauf des Schultages auch alle. Wirklich jeder Schüler und jede Schülerin, mit der ich im vergangenen Jahr engeren Kontakt hatte, kommt vorbei. Es gibt Umarmungen und ganz herzliche Begrüßungen, einmal fließen sogar ein paar Tränchen und immer wieder höre ich: „You came back!“ 

Ich bin unglaublich gerührt, je mehr dieser Begegnungen ich erleben darf. Dass ich hier, so weit von Deutschland entfernt, vermisst worden bin, wurde mir zwar auch gelegentlich per Mail oder über Facebook berichtet, aber es von Angesicht zu Angesicht zu erleben, dieses Wiedersehen, ist unglaublich schön. Was mich auch freut, ist die Tatsache, dass viele Mitglieder der alten Gruppe noch immer ein wenig Deutsch sprechen. „Guten Morgen, Madam!“ höre ich alle naselang, und als Krönung des Tages kommt sogar Elijah, der im vergangenen Jahr solche Probleme mit der schwierIgen Sprache Deutsch hatte, in der Pause vorbei und ruft mir ein fehlerfreies „Ausgezeichnet!“ entgegen. Das hat er vor zwölf Monaten trotz energischen Wiederholens nie geschafft. Später berichtet mir Comfort mit einem Kichern, dass sie zusammen mit einigen anderen Schülern Elijah „Nachhilfeunterricht“ gegeben hat, weil sie mich mit seinem „Ausgezeichnet!“ überraschen wollten. Diese Überraschung ist eindeutig gelungen. Auch „so lala“ mit der passenden Handbewegung ist noch beliebt, und als mich Philip fragt, wie Elijahs Deutsch sei – „So lala?“ – kann ich mit voller Überzeugung sagen: „Nein, ausgezeichnet!“

Zwischendurch werden jede Menge Geschenke überreicht. „Madam, you have a second job! You are a teacher and a postwoman”, so wird mir erklärt. Alle Schülerinnen der letztjährigen Ghana-Gruppe können sich sicher sein, dass ihre Briefe, Fotos, Süßigkeiten und sonstigen Gaben gut bei den geplanten Empfängern in Ghana angekommen sind. Sie haben sich alle riesig gefreut und sagen herzlich Dankeschön. Leider kann ich den ohrenbetäubenden Freudenjubel einer Gruppe Jungs, als sie eine Tüte Gummibärchen entdeckten, nur sehr schlecht in diesem Blog übermitteln.   

Am allerschönsten aber ist unsere Verabschiedung am Ende des ersten Schultags, als alle Workshop-Gruppen eingeteilt worden sind und es die Ghanaer nach Hause zieht, weil in Kürze ihre Nationalmannschaft im Africa Cup gegen Niger spielen wird. Vincent, Joseph und Philip drehen sich noch einmal um und rufen mir „Auf Wiedersehen!“ zu. Und anders als am Tag vor meiner Abreise im letzten Februar, als ich bei diesen Worten einen ziemlichen Kloß im Hals hatte, stimmt es diesmal. Wir werden uns tatsächlich wiedersehen – zumindest in den drei kommenden Wochen.

(Marion Müller)

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