Der erste Schultag in Moree – und ich war gleichzeitig
voller Vorfreude, aber auch einigermaßen nervös. Im vergangenen Jahr hatte ich.mich hier so wohlgefühlt, hatte meine ghanaischen Schülerinnen und Schüler so
schnell und so intensiv ins Herz geschlossen, dass dies für mich eine ganz
besonders begeisternde und bereichernde Erfahrung in meinem Lehrerinnenleben
war – und hoffentlich für immer bleiben wird.
Wie würde es aber sein, nach einem Jahr zurückzukehren?
Weder hier in Moree, noch zu Hause in Deutschland ist die Zeit ja
stehengeblieben. Menschen entwickeln sich weiter, Bedingungsgefüge verändern
sich. Würden überhaupt noch alle
Projektbeteiligten aus dem vergangenen Jahr an der Schule sein? Die
Vergangenheit kann man nicht einfach kopieren oder wiederholen… aber
hoffentlich an sie anknüpfen und neue Kontakte schaffen.
Ich war also ordentlich nervös, als wir über den Schulhof
auf die Gebäude zuliefen, die mir auch nach zwölf Monaten noch so vertraut
vorkamen als wäre ich erst gestern nach Hause gefahren. Kleine Veränderungen
sind aber dennoch sichtbar. Der Hang über den Nebengebäuden ist von Gestrüpp
und Gebüsch befreit worden und man sieht ein neues Gebäude für die dort
ansässige Grundschule. Eine zweite Mülltonne ist von der Senior High School angeschafft
worden. Auf dem Schulhof gibt es nun nachts, wenn Abendkurse für die
bildungswillige Bevölkerung von Moree stattfinden, Licht aus hohen Laternen,
die durch Solarkraft (!) gespeist werden. Grüner kam es mir auch vor, und ein
großer Haufen Pflastersteine zeigt an, dass hier vielleicht irgendwann
demnächst mal die weiterhin unebene Erde planiert und gepflastert wird. Die
Schulhofziegen sind aber weiterhin anwesend. ;-)
Thompson,
der Director of Academics an der Moree Senior High Technical School, begrüßt
uns sehr herzlich. Die Schülerinnen und Schüler werden einander
vorgestellt und reagieren mit der zu erwartenden Schüchternheit, aber
gleichzeitig auch mit sichtbarer Neugierde aufeinander. Es sind mit einer
Ausnahme unbekannte Gesichter, die mich anschauen. Bridgett ist wieder mit von
der Partie, was mich ganz besonders freut. Manche der knapp zwanzig anderen jungen
Ghanaerinnen und Ghanaer habe ich schon im vergangenen Jahr hier oder auf dem
Hof der benachbarten Junior High School gesehen, aber mit Namen kenne ich sie
noch nicht. Das muss und wird sich hoffentlich bald ändern.
Thompson bittet zwei seiner Schüler, dass sie in einer Art
Klassensprecherfunktion das gegenseitige Vorstellen leiten, während Bruno,
Ronny, Frau Leiters und ich im Verwaltungstrakt den Schulleiter Peter
Yartel-Kubin treffen und erneut sehr freundlich begrüßt werden.
Schon auf dem Weg dorthin sehe ich aber die ersten mir aus
dem vergangenen Jahr noch ganz vertrauten Gesichter. Mary isu da, neben ihr aus
dem Fenster eines Klassenraums lehnend ihre beste Freundin Philomena. Beide
rufen eine begeisterte Begrüßung. Ich denke fast, dass sie uns schon aus der
Ferne haben kommen sehen. Nur ein paar Schritte weiter winkt mir Sophia
entgegen, zieht Francis aus dem Klassenraum und macht ihn darauf aufmerksam,
dass wir angekommen sind. Vor dem Büro des Schulleiters schließlich sehe ich
noch Vincent, der mir zuruft: „I’ll come and talk to you later, Madam!“
Und das tun sie im Verlauf des Schultages auch alle.
Wirklich jeder Schüler und jede Schülerin, mit der ich im vergangenen Jahr
engeren Kontakt hatte, kommt vorbei. Es gibt Umarmungen und ganz herzliche
Begrüßungen, einmal fließen sogar ein paar Tränchen und immer wieder höre ich:
„You came back!“
Ich bin unglaublich gerührt, je mehr dieser Begegnungen ich
erleben darf. Dass ich hier, so weit von Deutschland entfernt, vermisst worden
bin, wurde mir zwar auch gelegentlich per Mail oder über Facebook berichtet,
aber es von Angesicht zu Angesicht zu erleben, dieses Wiedersehen, ist
unglaublich schön. Was mich auch freut, ist die Tatsache, dass viele Mitglieder
der alten Gruppe noch immer ein wenig Deutsch sprechen. „Guten Morgen, Madam!“
höre ich alle naselang, und als Krönung des Tages kommt sogar Elijah, der im
vergangenen Jahr solche Probleme mit der schwierIgen Sprache Deutsch hatte, in
der Pause vorbei und ruft mir ein fehlerfreies „Ausgezeichnet!“ entgegen. Das
hat er vor zwölf Monaten trotz energischen Wiederholens nie geschafft. Später
berichtet mir Comfort mit einem Kichern, dass sie zusammen mit einigen anderen
Schülern Elijah „Nachhilfeunterricht“ gegeben hat, weil sie mich mit seinem
„Ausgezeichnet!“ überraschen wollten. Diese Überraschung ist eindeutig
gelungen. Auch „so lala“ mit der passenden Handbewegung ist noch beliebt, und
als mich Philip fragt, wie Elijahs Deutsch sei – „So lala?“ – kann ich mit
voller Überzeugung sagen: „Nein, ausgezeichnet!“
Zwischendurch werden jede Menge Geschenke überreicht. „Madam, you have a second job! You
are a teacher and a postwoman”, so wird mir erklärt. Alle Schülerinnen der
letztjährigen Ghana-Gruppe können sich sicher sein, dass ihre Briefe, Fotos,
Süßigkeiten und sonstigen Gaben gut bei den geplanten Empfängern in Ghana
angekommen sind. Sie haben sich alle riesig gefreut und sagen herzlich
Dankeschön. Leider kann ich den ohrenbetäubenden Freudenjubel einer Gruppe
Jungs, als sie eine Tüte Gummibärchen entdeckten, nur sehr schlecht in diesem
Blog übermitteln.
Am allerschönsten aber ist unsere Verabschiedung am Ende des
ersten Schultags, als alle Workshop-Gruppen eingeteilt worden sind und es die
Ghanaer nach Hause zieht, weil in Kürze ihre Nationalmannschaft im Africa Cup
gegen Niger spielen wird. Vincent, Joseph und Philip drehen sich noch einmal um
und rufen mir „Auf Wiedersehen!“ zu. Und anders als am Tag vor meiner Abreise
im letzten Februar, als ich bei diesen Worten einen ziemlichen Kloß im Hals
hatte, stimmt es diesmal. Wir werden uns tatsächlich wiedersehen – zumindest in
den drei kommenden Wochen.
(Marion Müller)