Sonntag ist für viele, viele Ghanaer ganz selbstverständlich Kirchentag.
Wie im vergangenen Jahr auch haben sich die ghanaischen Schüler und Schülerinnen im
Deutsch-/Landeskundeunterricht extrem überrascht bis entsetzt geäußert, als sie
erfuhren, dass dies in Deutschland für die Bevölkerungsmehrheit nicht mehr der
Fall ist. Und vielleicht war auch dies ein Grund, warum am heutigen Sonntag
zwei getrennte Gruppen von "Obruni" (= Fanti für "weiße Menschen") relativ früh losgezogen
sind, um zwei ziemlich unterschiedliche Gottesdienste zu besuchen.
Eine Gruppe deutscher Schülerinnen, angeführt von Frau Leiters, folgte der
Einladung unseres ghanaischen Kollegen Thompson in seine Gemeinde, Assemblies
of God, wo ganz in der Nähe der Schule ein freikirchlicher Gottesdienst in
englischer Sprache mit viel afrikanischem Singen und Tanzen gefeiert wurde. Die
andere Gruppe hat|e mit mir zusammen bei bereits sehr warmen Temperaturen einen
deutlich weiteren Fußmarsch zu bewältigen, nämlich bis zur Hauptstraße und dann
durch halb Moree zur katholischen Gemeinde St. Matthew, wohin John, ein anderer
ghanaischer Kollege, eingeladen hatte.
So gegen zehn Uhr sollten wir dort sein, so war uns gesagt worden, und diese
Zeit haben wir – nach vierzig Minuten schweißtreibendem Anmarsch – auch geschafft. Die
katholische Kirche ist kaum zu übersehen, denn sie ist die größte Kirche im
Ort. Allerdings liegt sie schon ziemlich eindeutig in einem richtig armen Teil
von Moree. Entsprechend klein und extrem bescheiden sind die Behausungen der
Menschen, die wir passierten. Viel roter Staub auf der sich windenden, nicht
gepflasterten Straße, viel Müll am Straßenrand und vor den Häusern,
größtenteils offene Abwasserkanäle, dazwischen auf Schritt und Tritt viele,
viele Kinder, die uns neugierig beäugten, teils auch schüchtern ansprachen, uns
aber auch halfen, den kürzesten Weg zu unserem Ziel zu finden. Dieser führte
über einen Hinterhof einiger sehr ärmlicher Häuschen. In einer Türöffnung, die nur durch einen Vorhang aus einer in Streifen zerschnittenen Plastikplane verdeckt wurde, hockte zwischen einigen mageren Ziegen und ausgesprochen niedlichen, in der Sonne schlafenden Katzenbabys ein freundlich lächelnder, vielleicht dreijähriger Junge in einem
makellos sauberen Anzug – offenbar ebenfalls schon für den bald anstehenden
Kirchgang zurechtgemacht. Ein nicht leicht in Worte zu fassender Kontrast, der
mich nach wie vor sehr beschäftigt…
Zur Kirche hinauf muss man einige Stufen erklimmen, vorbei an einer weißen
Jesus-Statue. Oben dann sahen wir, dass das Geschehen schon in Gang war. Wir
traten trotzdem ein und wurden sofort von den mit Schärpen gekennzeichneten
Ordnern (ushers) in eine freie Bank im hinteren Kirchenteil geleitet. Dort saß
- Zufall oder Absicht? - der Fanti-Lehrer John und hieß uns ebenfalls
willkommen.
Rasch merkten wir, dass wir passend zur Predigt gekommen sein mussten.
Verstehen konnten wir sie zwar nicht, denn die gesamte Messe fand auf Fanti
statt, aber es wurde bald deutlich, dass der mit einem gut funktionierenden
Mikro ausgestattete Priester ein echtes Redetalent sein musste. Er ging umher,
erzählte selbst, ließ aber auch ganz verschiedene Gemeindemitglieder zu Wort
kommen, die offenbar eigene Gebete oder Gedanken einbrachten, die die Gemeinde jeweils laut mit "Amen" kommentierte.
Ehe der Priester sich den hinteren Bankreihen, wo wir saßen, näherte, blieb
ein wenig Zeit, um die Atmosphäre in der Kirche auf sich wirken zu lassen. Auf
Anhieb fühlte ich mich hier wohl... geschnitzte Holzbänke in vier breiten
Reihen, ein Mittelgang, eine hohe Decke mit einer kunstvoll verschachtelten
Konstruktion aus dunklen Holzbalken, darüber über Kreuz gespannt zwei Leinen
mit bunten Wimpeln und Fähnchen, vorne ein heller, leicht erhöhter Altarraum,
kleine, offene Fenster ringsum, teilweise mit bunten Scheiben oder Folien in
Adinkra-Symbolik verziert, einige handgewebte Tücher mit religiösen Motiven, Malereien
in einem Fries über den Fenstern...
Fast alle Bänke waren besetzt, und sofort fiel auf, wie festlich die
Menschen sich hier für den Kirchgang kleiden. Wir hatten unser Bestes gegeben,
um aus den Koffern und Schränken in der Unterkunft ein sowohl kirchen- als auch
hitzegeeignetes Outfit zusammenzustellen, konnten aber dennoch nur die
wunderschönen handgenähten Kleider vieler ghanaischer Frauen (oft in
traditionellen Mustern und Schnitten) bewundern. Auch die Männer waren sehr auf
ihr Erscheinungsbild bedacht, manche unter ihnen ebenfalls traditionell
gewandet. Auch die vielen anwesenden Kinder (übrigens praktisch alle ausgesprochen
brav und geduldig bei ihren Müttern oder älteren Geschwistern sitzend) waren
besonders gut angezogen worden.
Noch während wir dabei waren, den herrlichen Luftzug zu genießen, der durch
die offenen Türen das Innere der Kirche angenehm abkühlte, näherte sich der
Priester mit seinem Mikro. Ich hörte irgendwo in seinem Fanti-Redeschwall das
Wort "Obruni" und wusste noch ehe John mir zuraunte, wer gemeint war,
dass wir nun an der Reihe waren. Sekunden später hatte ich ein Mikro vor der
Nase und hörte die einzigen englischen Worte im Verlauf des Gottesdienstes:
"What is love for you?"
Hoffen wir mal, dass meine entsprechend spontan zusammengestellte Antwort auch
für Ghanaer einigermaßen sinnvoll klang...
Kurz danach kam das Ende der Predigt, und nun konnten wir, auch wenn wir
sprachlich nichts verstanden, der vertrauten Liturgie der katholischen
Messfeier folgen. Umso deutlicher fielen natürlich bei aller Gemeinsamkeit die
Unterschiede auf: Wo bei uns die Ministranten die Kollekte durchführen und sich
die Gläubigen in der Regel nicht von ihren Bänken rühren, erfolgt hier in Ghana
eine lebhafte Prozession nach vorne zum Altar unter Singen, Klatschen,
rhythmischem Schunkeln, alles begleitet von einem sehr guten Chor auf einer
Empore über uns, der lediglich von Trommeln und Klanghölzern untermalt
traditionelle afrikanische Lieder sang, bei denen auch wir Obruni unmöglich ganz
ruhig sitzen bleiben konnten. Nur wer etwas zur Kollekte beiträgt, geht mit nach vorne, hatte John mir zugeraunt. Es blieb praktisch niemand in der Bank sitzen - wenn man bedenkt, wie ärmlich die Gegend um die Kirche auf uns wirkte, ist dies umso bemerkenswerter!
Dann die Gabenbereitung: Ministranten tragen hier, so fiel uns auf, weiße
Handschuhe. Sie hielten in einem kunstvoll einstudierten komplizierten Rechter-Winkel-Griff Kerzen,
die aber nicht brannten. Vielleicht um zu sparen? Weihrauch jedenfalls gibt es
auch hier... Und als Teil der Gabenbereitung gingen außer den Messdienern auch
Menschen nach vorne, die der Kirche etwas schenken wollten. Umschläge
(vermutlich mit Geld) trugen einige unter ihnen in der Hand, uns aber fiel vor
allem ein Tablett mit zwei großen Wasserflaschen und zwei Dosen des hier extrem
beliebten Malzbieres Malta auf.
Auch dass die uns vertrauten Gebete beim Glaubensbekenntnis, beim
Vaterunser und bei der Wandlung eine ganz ähnliche Sprechmelodie haben wie im
Deutschen, konnten wir gut hören. Wir beteten eben im Kopf in unserer eigenen
Sprache mit.
Definitiv anders ist der hier scheinbar sehr beliebte Brauch, während des
zweiten Teils der Messfeier immer wieder bestimmte Passagen der Gebete durch
das Schwenken von weißen Tüchern über dem Kopf zu unterstreichen. Der Priester
machte es vor und viele Gemeindemitglieder zückten ebenfalls weiße Tücher. Als
jemand, der in einer sehr berührungsfeindlichen Gemeinde aufgewachsen ist, wo
zum Friedensgruß praktisch nie Hände geschüttelt wurden, war ich froh, hier in Moree das komplette Gegenteil zu erleben. Man wusste kaum, welche Hand man
zuerst ergreifen sollte, so rasch wurden sie einem entgegengestreckt.
"Peace be with you" habe ich zahlreiche Male gemurmelt, auch wenn ich
nicht wusste, ob mein jeweiliges Gegenüber Englisch spricht. Der Herzlichkeit
tat dies keinen Abbruch. Auch einige Schülerinnen und Schüler, die ich aus der
Schule kenne, sind quer durch die Kirche extra zu uns gelaufen. Ganz zuletzt
kam eine sichtbar bereits sehr alte, ziemlich zahnlose Frau in einem
traditionellen Gewand auf mich zu. Wir reichten uns die Hände, und sie strahlte
mich breit an. "You are welcome here!" Es war wirklich nicht schwer
zu, genau das zu fühlen!
Zur Kommunion wurden die einzelnen Bankreihen wiederum durch die Ordner
freigegeben, und vorne in der Schlange angekommen sahen wir, dass hier in Ghana
ähnlich wie ich es in Polen erlebt habe, offenbar der Empfang der Kommunion
über den Mund ohne die Hostie mit der Hand zu berühren üblich ist. Im Vergleich zur deutschen Messe gingen übrigens relativ wenige Gemeindemitglieder zur Kommunion, und auch das Kreuzzeichen nach dem Empfangen der Hostie scheint hier eher unüblich zu sein.
Die Messfeier endete wiederum mit lebhaftem Gesang, Trommeln, Klatschen und
– natürlich nicht zu vergessen – mit der Vorstellung aller Menschen, die zum
ersten Mal in der Kirche waren, damit die Gemeinde sie begrüßen konnte. Dazu
gehörten auch wir – aber die Schülerinnen wollen selbst einen Text über dieses
Erlebnis schreiben, dem ich nicht vorgreifen möchte.
Katholische Sonntagsmesse in Ghana – irgendwie ähnlich wie in Deutschland,
aber dann doch auch wieder vollkommen anders und auf jeden Fall eine Erfahrung,
die lange in Erinnerung bleiben wird!
(Marion Müller)