Mich interessierten aber keine Reiseführer, als ich in diesem Jahr den kleinen Buchladen wieder aufgesucht habe, sondern ein ganz bestimmter Roman, den ich im vergangenen Jahr dort entdeckt hatte. Er steht schon lange auf meiner Leseliste, ist aber überall in Europa und auch bei den einschlägigen Online-Anbietern und Internet-Antiquariaten vergriffen. In Cape Coast hingegen gab es noch ein Exemplar, zugegebenermaßen ein wenig abgegriffen, aber mit drei GH Cedi geradezu spottbillig. Ich hatte es leider ein wenig eilig, als ich beim letzten Mal dort war, dachte ich würde ihn beim nächsten Cape-Coast-Besuch mitnehmen, aber dazu kam es dann leider vor unserer Abreise nicht mehr.
Ein Jahr später – neuer Versuch… Vielleicht habe ich ja Glück und das Buch
ist noch da!
Das Unternehmen startet tatsächlich verheißungsvoll, denn die Ladentür von
Black Star Book Sales ist weit geöffnet. Aus dem Inneren dringt laute
Gospelmusik. Sehr schön! Ich trete ein und freue mich über die Kühle im wie
gewohnt halbdunklen Laden (in der Mittagshitze von Cape Coast wirklich sehr
erfrischend!) und suche ein ganz bestimmtes Regal ab. Und tatsächlich: MEIN
Roman ist noch da! Er liegt sogar noch an genau der gleichen Stelle im Regal
wie vor zwölf Monaten.
Das kann nur ein Zeichen sein. Diesmal werde ich ihn ganz bestimmt sofort
kaufen und nicht länger zögern!
Nachdem ich noch eine Weile nach weiteren Titeln gestöbert habe, fällt mir
beim Blick zu dem kleinen Verkaufstisch allerdings auf, dass es ein neues
Hindernis gibt, ehe ich das Buch erwerben kann. Ich bin nämlich seit etwa einer
Viertelstunde vollkommen allein im Laden. Es gibt auch keine weiteren Räume
oder Türen, hinter denen sich jemand verstecken könnte, der mir vielleicht
gerne Geld abknöpfen möchte.
Was also tun? Ich will ja ganz sicher keinen Ladendiebstahl begehen… Meine
erste Idee, einfach das Geld für das Buch auf den Tisch zu legen und einen
erklärenden Zettel zu schreiben, scheitert an der Abwesenheit von Wechselgeld.
Und mit meiner kleinsten greifbaren Banknote im Wert von zehn GH Cedi wäre das
Buch dann doch deutlich überbezahlt.
Ich schaue aus dem Eingang nach links und rechts. Auch hier kein Verkäufer
in Sicht. Nur die Frau, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen
kleinen Obststand betreibt, schaut zumindest auf. Ich frage sie, ob sie weiß,
wo der Besitzer sein könnte. Sie spricht aber ganz offenkundig nur Fanti und
scheint ihrer Mimik und Gestik nach der Meinung zu sein, dass ich lieber eine
ihrer Mangos statt eines gebrauchten Buches kaufen sollte. Die Mangos sehen
wirklich gut aus, aber ich will halt zuerst das Buch!
Sie macht scheuchende Handbewegungen in Richtung des Nachbareingangs neben
Black Star Book Sales. Dort sitzt im Innenraum über eine mit Fußpedal
betriebene Nähmaschine gebeugt (genau solch eine hatte meine Oma früher auch!)
eine Schneiderin. Auch sie scheint nur Fanti zu sprechen. Aber sie ruft
immerhin lächelnd ein kleines Mädchen herbei, das dann auf die Straße läuft.
Und was danach folgt, hat schon einen hohen Unterhaltungswert:
Das Mädchen ruft vor dem gegenüberliegenden Haus schallend laut einen Namen
(„Kweku“) und eine Frage auf Fanti. Ein Fenster öffnet sich im ersten Stock.
Eine ältere Frau schaut heraus und wiederholt genau diesen Namen und die Frage,
nun aber in Richtung einer engen Gasse, die von der Hauptstraße abzweigt. Von
dort aus höre ich erneut die gerufene Frage aus dem Mund eines Mannes, den ich
nicht sehen kann. Und noch einmal… Dann kommt die gesamte Kette wie ein Echo
zurück. Das kleine Mädchen läuft zur Schneiderin, die mich anlächelt und
plötzlich doch etwas Englisch spricht: „He comingnow.“
Damit wenden sich alle wieder ihren Tätigkeiten zu, sei es nun Nähen oder
Mangoverkaufen. Ich stehe immer noch etwas ratlos im Eingang von Black Star
Book Sales und frage mich, wer dieser „he“ ist, der sich angeblich bereits im
Anmarsch ist. Kweku?
Etwa zwei Minuten später habe ich meine Antwort: Ein junger Mann in einem
Fußballshirt joggt um die Ecke. Er kommt kurioserweise aus einer ganz anderen
Gasse als der, in deren Richtung zuletzt gerufen wurde. Einen abgewetzten Fußball
hat er noch unter dem Arm. Er lächelt breit und fragt mich in bestem Englisch,
ob ich ein Buch kaufen möchte.
Ja, schon… irgendwann dann.
„Are you Kweku, the owner of the shop?” frageichihn.
“Oh, no, no…”, kommt die Antwort, während er eine Schublade im Kassentisch
aufschließt und eine Dose mit Wechselgeld ans Tageslicht befördert.
That’s my cousin. He is in Accra today. I am Solomon. But
I am watching the shop for him.”
(Marion Müller)
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