Freitag, 1. Februar 2013

Drei Gespräche auf dem Heimweg


Wir sind nun seit knapp einer Woche in Ghana und haben auch die ersten Schultage bereits hinter uns. So langsam wird unsere Anwesenheit wie auch im vergangenen Jahr wieder spürbar „normaler“. In den ersten Tagen haben sich aber zwangsläufig viele Menschen in Moree und auf den Straßen nach uns umgedreht, wenn sie uns erblickten.

Unterwegs auf dem Heimweg nach der Schule hatte ich an drei aufeinanderfolgenden Tagen drei sehr unterschiedliche Gespräche und Begegnungen, über die ich berichten möchte.

Da war zunächst die Sache mit den Blumen… Vincent, Maxwell und Joseph haben mich, auch wenn ich ihnen versichert habe, dass ich den Weg ganz sicher finden würde, bis zum Resort begleitet. Unterwegs haben wir ein wenig geplaudert über dies und das. Als wir den kleinen Bach neben der Straße überquerten, fiel mir ein Baum mit dürren Ästen, wenigen ähnlich wie Efeu aussehenden fedrigen grünen Blattspitzen, langen, flachen und schwarzen Samenkapseln sowie wunderschönen, leuchtend roten Blüten auf, den ich schon vor zwölf Monaten bewundert hatte ohne zu wissen, um welche Pflanze es sich handelt. Ich fragte also meine drei ritterlichen Begleiter. Sie brachen in sehr ernsthaft klingende Debatten auf Fanti aus, die aber zu keinem Resultat führten. Schließlich meinte Vincent, jeder der drei Jungs kenne die  Pflanze unter einem anderen Begriff, aber sie seien sich ziemlich sicher, dass sie auf Englisch „Flambiant“ (oder so) hieße. Wer Lust und etwas besseres Internet als wir im Moment hat, kann das ja gerne mal googlen. Sie ist auf jeden Fall extrem hübsch.

Vincent pflückte eine der leuchtenden Blüten von einem tiefer hängenden Ast, zeigte mir die dick mit Pollen behafteten Samenfäden und erklärte mir unterstützt durch eine lebhafte Demonstration von Maxwell und Joseph ein offenbar typisch ghanaisches Kinderspiel. Man nimmt je einen Samenfaden auf der Blüte, verhakt die beiden Samenspitzen miteinander und liefert sich dann einen kleinen Hüpfwettkampf, den derjenige verliert, bei dem die Samenkapsel zuerst abreißt. Ich habe ihnen daraufhin von deutschen Kindern und Löwenzahnwettpusten erzählt, bin mir aber nicht sicher, ob sie sich vorstellen können, wie so eine „Pusteblume“ aussieht.

Am folgenden Tag kam bei Verlassen des Schulhofs eine Horde kleiner Jungs so etwa im Alter zwischen fünf und acht Jahren auf mich zugestürmt, die auf dem unbebauten Grundstück vor dem Eingang der benachbarten Junior High School Fußball spielten. Ein Blick auf das wilde Tempo des Spiels und die geschickten Schüsse genügte, um deutlich zu machen, dass sie bereits große Könner sind.

„Madam, Madam, please, I am Richard”, sagte der mutigste unter ihnen, während sie sich im Halbkreis um mich aufstellten. Sie grinsten breit. Irgendwie war einer von ihnen niedlicher als der andere. Englisch schienen sie alle zumindest ein wenig zu sprechen und wollten sich gerne vorstellen. Richard aber, der Wortführer, informierte mich dann: „Please, Madam, we need football boots.“

Zweifellos würden sie mit Fußballschuhen oder zumindest einem für deutsche Jugendmannschaften normalen Gras- oder Tartanbahnplatz noch besser spielen als auf dem von Steinen, vertrockneten Wurzeln und auch etwas Müll bedeckten, unebenen und staubigen Stück Land. Manche von ihnen waren komplett barfuß, andere trugen eine Art Badelatschen oder Schlappen, die sie teilweise auch nur an dem Fuß hatten, mit dem sie am schärfsten schießen konnten.

Leider habe ich im Koffer keine geschätzten zwanzig Paar Kinderfußballstiefel mitgebracht, und so musste ich Richard und seine Freunde enttäuschen. Ich habe ihnen aber gleichzeitig ein Kompliment dafür gemacht, wie großartig sie spielen. Richards Reaktion? „Madam, no problem. We keep playing without soccer boots and we get so good in ten years, we beat Germany and win the World Cup. We play better than you!”

Vielleicht sollte sich Jogi Löw schon mal warm anziehen und eine passende Strategie planen… 

Und dann ist da noch Benjamin, genauer gesagt, einer von zwei Benjamins in der diesjährigen Projektgruppe, der mich am dritten Tag ein Stück des Weges bis hinter das Hospital begleitet. Benjamin ist ein ganz angenehmer, höflicher und zurückhaltender junger Mann, der sehr ernsthaft wirkt und schon gleich am zweiten Tag Schule mit „Guten Morgen!“ grüßte.

Er spricht langsames, aber eigentlich ganz gutes Englisch, und so unterhalten wir uns ein wenig, während wir in der Nachmittagshitze den staubigen Weg entlang gehen. Benjamin erzählt mir, dass er gar nicht aus Moree stammt, sondern aus Saltpond, einem anderen Ort in Ghanas Central Region. Dort wohnen seine Mutter und zwei Schwestern, eine jünger, eine älter als der siebzehnjährige Benjamin. Der Vater? „Somewhere in the Volta region“, so erklärt er mir, geht aber nicht näher auf die Umstände ein, und ich frage respektvoll lieber nicht nach.

Dafür berichtet er, dass seine Mutter als „trader“ arbeitet – vermutlich also als Marktfrau mit einem kleinen Stand. Reich dürfte die Familie also sicher nicht sein, aber Erziehung und Bildung sind wichtig. Darum spart die Mutter laut Benjamin, wann immer sie kann, damit alle drei Kinder einen Schulabschluss machen und einen guten Beruf finden. Mit der älteren Schwester ist dies bereits gelungen. Sie war auf der Senior High School, danach auf der Universität und arbeitet nun in der ghanaischen Gesundheitsverwaltung – ein sehr beliebter Berufswunsch für Mädchen hier. Auch die jüngere Schwester besucht eine Schule, und Benjamin selbst hat Saltpond verlassen, um wegen des besseren schulischen Angebots nach Moree zu kommen. Hier wohnt er mit elf anderen externen Schülern in einer Art „Hostel“ nahe der Schiffsbauwerft.

Genau dort kommen wir gerade vorbei. Es herrscht rege Aktivität, und zwar samt und sonders von Hand. Ein geschätzt fünfzig Jahre alter rostiger Wagenheber wurde umfunktioniert, um die Rohbauten der von Hand ausgehöhlten Baumstämme, aus denen einmal Fischerboote werden sollen, auf einen laut knatternden Truck zu verladen, der seine besten Zeiten auch schon deutlich hinter sich hat. Die Männer heben den Baumstamm vom Boden an, dann schultern sie ihn etwa zu zehnt und stemmen ihn in die Höhe, wo er auf der Ladefläche des LKWs von einem anderen Team entgegengenommen wird. Was für eine Kraftleistung!

Benjamin und ich sehen einen Moment zu. „My mother said I must not get a job like this.” Ich frage nach dem Grund. “It is hard, hard work and dangerous. They are very good workers, very skillful, but when they are injured they get no money. She knows I am not very strong physically. And she wants a better life for me than that. And education is the only way for someone like me.”

Plötzlich lächelt er: “I like this better. Education is a good thing.”

Damit trennen sich unsere Wege. Meiner geht geradeaus Richtung Resort, Benjamin biegt rechts ab. Sicher ist seine Geschichte hier in Ghana alles andere als ungewöhnlich, aber mich bringt sie wieder einmal zum Nachdenken über die Bedeutung, Zugänglichkeit und Wertschätzung von Bildung…

(Marion Müller)

4 Kommentare:

  1. Hallo Frau Müller,
    ich lese täglich die tollen Blogs. Es macht viel Spaß so "hautnah" am Geschehen teilnehmen zu können.
    Bei dem gesuchten Baum handelt es sich um den "Flammenbaum" bzw. "Flamboyant": http://de.wikipedia.org/wiki/Flammenbaum
    Ich wünsche Allen noch tolle zwei Wochen und sende Grüße aus der Heimat (bei 8°C und Dauerregen) :-(

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  2. Tachchen!
    Ich dachte mir mal, ich verewige mich auch mal in eurem Blog ;) Das mit dem "Flamboyanr" kann ich bestätigen, deckt sich mit meiner Google-Recherche.
    Da das mit eurem Internet ja nicht so wirklich funktioniert, nutze ich die FB-Nachrichten als Notizblock, dann kannst du hinterher alles Wichtige stichpunktartig nachlesen ;)
    Was ich dir nicht vorenthalten will: Secessio ist seit heute morgen auch in Australien nicht mehr sieglos!
    Viel Spaß noch und sonnige (!) Grüße!

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  3. Ganz herzliche Sonntagsgrüße zurück nach Deutschland! Inzwischen funktioniert das Internet so leidlich, aber leider nur ziemlich langsam. Warum ich einen Internet-Stick von Vodafone Africa brauche, mir der Netzzugang aber über MTN Ghana gewährt wird. das mir bei seinem eigentlichen Stick meldet, dass es hier gar kein Netz gibt, will ich mal lieber nicht genauer erforschen. Hauptsache, es läuft so halbwegs. Ich nehme das Internet, egal wer es mir letztlich zur Verfügung stellt. ;-)

    Nach zwei "kühleren" Tagen mit schlappen 32°C ist heute wieder "richtig" Sommer in Ghana - was den morgendlichen Gang quer durch Moree zur dortigen katholischen Kirche ausgesprochen anstrengend gemacht hat. Empfangen wurden wir sehr, sehr herzlich - ein Blogeintrag zum Thema folgt bestimmt. Am Ende erklärte der Priester, wir seien nun alle Ghanaer und dürften nie wieder abreisen. Aber keine Sorge - ich bringe die Mädels in zwei Wochen wieder zurück nach D - hoffentlich mit ein wenig Wärme für die wintergeplagten Menschen dort im Gepäck.

    @Herr Möllemann: Jasmin hat sich sehr gefreut, als ich von ihrem Kommentar berichtet habe. Sie grüßt auf diesem Wege zurück. Herzlichen Dank auch für die botanischen Informationen. Der Name Flammenbaum passt wirklich ganz ausgezeichnet!

    @Karina: Danke! :-) Würdest du mir glauben, dass ausgerechnet GOL hier ganz passabel läuft? ;-)

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  4. Na toll, dann ist die Hälfte der Informationen, die ich bei FB für dich aufliste, völlig uninteressant :D Aber egal, dann musst du es eben hinterher nochmal lesen. Aber schön zu hören, dass du dich nicht ganz in der Diaspora befindest.

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