Mittwoch, 1. Februar 2012

Auf der Schulveranda

Ich sitze auf der überdachten Veranda vor dem Klassenzimmer, in dem unsere Schülerinnen und ihre ghanaischen Partnerinnen und Partner an den Projekten arbeiten. Es ist herrlich schattig hier, und es weht ein frisches Lüftchen, das an diesem Tag, an dem die Temperaturen schon vormittags um halb elf deutlich über dreißig Grad liegen, herrlich erfrischend ist. Ich weiß, dass es inzwischen in Deutschland bitterkalt geworden ist, aber ganz ehrlich: ich kann es mir im Moment nicht einmal vorstellen, wie sich Kälte anfühlt. Meine Fantasie versagt da völlig. 
 
Lernen im Freien - in Ghana auch Mitte Januar kein Problem
Inzwischen liegt die zweite der Deutschstunden, die ich hier in Ghana ja parallel zum Fanti-Unterricht meines ghanaischen Kollegen John Atta Mensah gebe, hinter mir. Es war ein wenig chaotisch, denn parallel zu meinem Unterricht wurden die Deckenkabel für den Ventilator, der den Klassenraum kühlt, von zwei mir nicht bekannten Jungs in Schuluniform repariert, die zu diesem Zweck aus zwei Bänken eine Behelfsleiter bauten und hinter ein abnehmbares Deckenpanel krochen. Unterricht mal anders – am Ende ging aber der Ventilator wieder. Die Jungs wissen offenbar, was sie tun.


Überhaupt ist hier in Ghana vor allem oft eine große Portion Gelassenheit gefragt. Hektik und Nervosität führen zu nichts, und ich stelle nach dreieinhalb Tagen hier fest, dass mir dies gut tut und mir die Umstellung auch erstaunlich leicht fällt. Bis jetzt zumindest… Aber das Hektik- und Stressgefühl der letzten Schulwoche vor unserer Abreise, als ich im Akkord Klassenarbeiten und Klausuren korrigiert habe, ist gründlich verschwunden.
Gelassenheit hilft enorm. Auch wenn meine Deutschschüler heute früh fast zwanzig Minuten zu spät zum Unterricht auftauchten, habe ich mich nicht aufgeregt. Wieso auch… die kommen schon. Taten sie ja dann auch – und als Ernestina, Sophia, Solomon, Philomena, Elijah, Emmanuel, Comfort, Bridget und Co. dann erst einmal da waren, waren sie auch enorm eifrig und begeistert. „Guten Morgen“, so begrüßen sie mich strahlend, wenn sie mich auf dem Schulhof oder auf der Straße sehen. Sie können inzwischen bis zehn zählen, sich vorstellen und ein wenig über sich erzählen. „Ich bin Francis. Ich bin aus Moree. Ich bin aus Ghana. Ich bin in der Schule.“ Das Stellen einfacher Fragen klappt mal hervorragend, mal weniger gut. „Bist du ein Junge?“ fragt Ernestina ihre Nebenfrau Philomena, und die ganze Gruppe lacht sich begeistert scheckig, wenn sie protestiert: „Nein! Ich bin ein Mädchen!“

Da ich ja noch nie Deutsch unterrichtet habe (geschweige denn in Ghana), stoße ich manchmal auf ganz unerwartete Hürden. Meine „b“s sind offenbar schwer zu entziffern und verwirren beim Abschreiben. Auch Regeln zu diktieren scheint hier unüblich zu sein. Hier schreibt der Lehrer wohl noch viel an die Tafel, der Schüler schreibt es dann ab. Aber diese Kleinigkeiten hindern uns nicht am Unterricht, und das Interesse ist bei vielen ghanaischen Schülern riesig. Jedenfalls habe ich auch nach dem Ende der Stunde noch eine ganze Weile Gesellschaft, denn viele Mitglieder der Gruppe kommen, stellen Nachfragen, wollen noch einmal von eins bis zehn für mich zählen, mir persönlich „Auf Wiedersehen!“ sagen und diese und jene Fragen über Schule in Deutschland stellen. Ich antworte gerne  und erkläre. Mir macht das hier richtig Spaß.

Gerade kommt ein Besucher in die Schule, den ich erst nicht wiedererkenne, denn er ist heute statt in traditionelle Kleidung in eine lange Hose und ein weites Hemd gekleidet. Es ist der Chief, der uns schon am Montag begrüßt hat. Er ist unglaublich freundlich, reicht jedem die Hand und fragt uns auf Fanti „Wapome?“. So klingt es zumindest. Ich muss meinen Kollegen John, wenn er auftaucht, mal fragen, wie man das scheibt. Es heißt jedenfalls, so erklärt der Chief, der ziemlich gut Englisch spricht, „Wie geht es dir?“. Er erklärt auch die Antwort auf Englisch, und diese (gut, natürlich gut… in meinem Fall stimmt es aber auch ganz und gar) klingt für mich spontan wie ein deutsches „oh je!“.

Wieder etwas gelernt!

Der Chief zieht weiter, und die große Pause wird eingeläutet, ganz klassisch mit einer Handbimmel. Manche unserer Mädchen gehen mit ihren Partnern in kleinen Gruppen den kurzen Weg nach Moree, kommen dann zurück zur Schule und berichten von der frischen Kokosnuss, die sie probiert haben. Ob das schmeckt, wird unterschiedlich beurteilt. Von Begeisterung bis Skepsis ist alles dabei.
Blick über den noch naturbelassenen Schulhof der 
Moree Senior High Technical School
Mir leistet inzwischen eine kleine Gruppe Ziegen, die hier überall auf dem Schulhof wild weiden, Gesellschaft. Die Schule ist ja noch ganz neu. Der Headmaster hat uns vorgestern in Moree das alte, an eine Ruine grenzende Gebäude gezeigt. Der flache Gebäudeblock der neuen Schule, vor dem ich gerade sitze, ist jedenfalls erst im Dezember 2011 eingeweiht worden. Irgendwann soll auch der Schulhof eingeebnet und gestaltet werden, aber im Moment besteht er aus hügeliger Erde, Gesteinsbrocken und grünem Gestrüpp, für das sich die Ziegen begeistern können. 
Ghanaische Schulhofziege
Zu mir halten sie allerdings bis auf eine ganz besonders kecke braune Vertreterin einen gewissen Sicherheitsabstand. Meine fellige Freundin (ich muss mir mal einen ghanaischen Spitznamen für sie ausdenken, denn sie steht schon ganz beharrlich darauf, in meiner Nähe blökend und meckernd herumzustehen), rollt sich im Schatten zusammen und schließt genießerisch die Augen. Mittagsschlaf…  ;-)

(Marion Müller)

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