Donnerstag, 9. Februar 2012

"How are you?" "Fine!"

Diese eine Frage – „How are you?“ bekomme ich hier alle naselang gestellt. Besonders auf dem Schulweg höre ich sie pro Strecke oft mehrfach. Kleine Kinder in lila-oranger Schuluniform, einige der Bootbauer, die ich auf halber Strecke passiere, eine Frau, die ein Baby im Tragetuch auf ihrem Rücken und eine große silberne Schüssel auf dem Kopf trägt, eine junge Krankenschwester in ihrer Uniform, ein älterer Patient, der vor dem Krankenhaus wartet – sie alle fragen gleich: „How are you?“

Wenn ich dann die Straße, die aus Moree herausführt, überquere, werde ich wieder gefragt – zwei Frauen in für die afrikanische Hitze viel zu schwer wirkenden Gummioveralls und Regenstiefeln, ein LKW-Fahrer, der sein Fahrzeug abgestellt hat und an einem Reifen hantiert, noch mehr Schulkinder in andersfarbiger Schuluniform, die vermutlich auf das Tro-Tro nach Cape Coast warten, aber auch eine schon ziemlich zahnlose ältere Frau, die Wassertütchen verkauft, wollen wissen: „How are you?“
Mein persönlicher Favorit, den ich morgens an dieser Stelle oft treffe, trägt ein altes Bayern-München-Trikot, ist vielleicht acht oder neun Jahre alt und heißt Edward. Soviel hat er mir auf Englisch verraten können, nachdem er mich vor etwa einer Woche das erste Mal ansprach. „Obruni“, so sagte er damals und schob gleich ein erklärendes „white person“ hinterher. Das Wort kannte ich allerdings schon, und weil er mich gleichzeitig freundlich und unglaublich neugierig-schüchtern ansah, habe ich versucht ein Gespräch zu beginnen. Weit sind wir nicht gekommen, denn Edward kann – so wie erstaunlich viele Menschen in Ghana, wo es immerhin die offizielle Amts- und ganz besonders Bildungssprache ist – kaum Englisch. Eine Ausnahme gibt es: „How are you?“ Darauf kennt er auch die Antwort: „Fine!“
Besonders variantenreich sind meine Unterhaltungen mit Edward, der offenbar keine Schule besucht, nicht, aber er scheint sie trotzdem interessant zu finden, denn immer wieder steht er an exakt dieser Stelle, wenn ich morgens auf meinem Schulweg entlangkomme, und dann und wann streicht er auch über den Schulhof der Moree Senior High Technical School und fragt, wenn wir uns sehen: „How are you?“
Ich antworte: „Fine!“
Es gibt in Ghana nämlich nur diese eine Antwort auf die Frage „How are you?“. Man ist grundsätzlich „fine“, auch wenn man es eigentlich gerade nicht sein sollte. Jeder ist „fine“ – immer und überall. Auch die Menschen, die nachmittags unter einem riesigen Baum vor dem Krankenhaus stehen und teilweise Verbände tragen, sind selbstverständlich „fine“, wenn sich unser Begrüßungsritual abspielt und ich zurückfrage „And how are you?“. Bruno meinte neulich, vermutlich sei ein Ghanaer auch dann noch „fine“, wenn er ein Messer im Rücken stecken habe.
Mit meiner Deutschgruppe habe ich vorgestern das deutsche Gegenstück zu „How are you?“ gelernt. „Wie geht es dir?“ – das können die zwanzig am Projekt beteiligten ghanaischen Schülerinnen und Schüler nun ganz passabel sagen. Sie haben allerdings ziemlich ungläubig geschaut, als ich erklärt habe, dass man in Deutschland durchaus nicht immer "fine" sein muss und das auf die Frage "Wie geht es dir?" hin auch durchaus zugeben darf, wenn man vorbereitet ist, dass man anschließend "Warum? Was hast du?" gefragt wird. Etwas zögerlich probieren sie auch die folgende Wendung aus: "Wie geht es dir?" "Ach, so lala." Besonders die dazu passende Handbewegung scheint ihnen Spaß zu machen. Solomon wiederholte sie jedenfalls vorhin in unserem gemeinsamen Nachmittags-Workshop gefühlte fünfzig Mal. 


(Marion Müller)

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