Freitag, 3. Februar 2012

Teaching German

„Guten Morgen!“, begrüßen mich inzwischen die ghanaischen Schüler und Schülerinnen, wenn wir uns das erste Mal am Tag sehen. Sie sagen mit einem schelmischen Grinsen „bitte“ und „danke“ und haben unsere vierte Unterrichtsstunde heute von alleine mit einem im Chor gesprochenen „Bis morgen!“ beendet, als ich „Auf Wiedersehen!“ sagte. Dass das nicht stimmt, weil ja morgen Samstag und somit keine Schule ist, lasse ich unter den Tisch fallen. Ich freue mich, dass die Gruppe so gut mitmacht, und überhaupt geht es ja am kommenden Montag weiter.


Was haben wir inzwischen gelernt? Die Ghanaer in meinem Unterricht können nun sagen, wer sie sind, sie können bis 100 zählen, erklären, wie alt sie sind, sich ein wenig vorstellen, sich begrüßen, verabschieden, einfache Ja/Nein-Fragen stellen und haben heute am Beispiel der Familienmitglieder erfahren, dass es im Deutschen anders als im Englischen drei bestimmte und zwei unbestimmte Artikel gibt. Schön kompliziert, diese Angelegenheit, auch für mich, die ich ja zu Hause nie Deutsch, sondern eben das grammatikalisch deutlich reduzierte Englisch unterrichte.
Der, die das… Bei Familienmitgliedern ist das noch logisch, denn wir sagen je nachdem DER Onkel, aber DIE Tante. Warum es aber DER Junge, und DAS Mädchen heißt, konnte ich ihnen auch nicht nachvollziehbar erklären. Sie akzeptieren scheinbar, dass es einfach so ist. Sometimes German is just different from English…


Vorbereitungen ganz traditionell
Ich hätte ehrlich gesagt nicht erwartet, dass mir diese Aufgabe hier in Ghana so viel Freude bereiten würde, denn eigentlich bin ich ja ganz anderen Unterricht gewohnt: kooperativer, deduktiver, mit viel mehr Material. Hier habe ich zwar durchgesetzt, dass meine Deutschschüler nicht wie in ihrem ghanaischen Unterricht vor jeder Antwort aus den alten, niedrigen Holzbänkchen aufstehen (manche unter ihnen machen es dennoch impulsiv, denn „habits die hard“), aber ansonsten passe ich mich an. Das bedeutet: Ich habe ein Whiteboard, einen schwarzen Marker Pen, einen gelb gestrichenen Klassenraum mit einigen simplen Holzbänkchen und Pulten, und eben zwanzig ghanaische Schüler. That’s it.

Will ich etwas schriftlich verdeutlichen, muss ich es anschreiben. Will ich Übungen machen, muss ich sie mir selbst ausdenken und auch an die Tafel schreiben. Das Lehrbuch für Deutsch als Fremdsprache, das mir Frau Huizingas Mann ausgeliehen hat, liefert gute Ideen, aber beim Betrachten der deutschen Alltagsbilder in diesem Lehrwerk ist mir die Unterschiedlichkeit der Lebenswelten hier und zu Hause immer wieder ganz extrem bewusst. Ein durchschnittliches deutsches Wohnzimmer oder eine normale Arztpraxis und eine Bäckerei wirken im Vergleich zu den hiesigen Gegenstücken als kämen sie von einem anderen Planet.

Ich und mein Whiteboard also… Die ghanaischen Schüler und Schülerinnen schreiben alles, was dort steht, wirklich brav ab. Der Lehrer ist hier der Boss. Er bestimmt, er hat das Wissen. Das gilt nun auch für mich, und ich bin folglich „Madam“ geworden. Ein ghanaischer Kollege, der wann immer er Zeit hat, einfach durch das geöffnete Fenster meinem Deutschunterricht zuschaut, weil er die Sprache interessant findet, erklärt mir, dass das ein Zeichen großen Respekts ist. Ich weiß nicht, wie oft ghanaische Lehrer ihren Marker Pen abgeben, damit auch die Schüler an das Whiteboard schreiben oder dort Aufgaben lösen. Zunächst waren Mary, Philomena, Elijah und die anderen etwas zögerlich, aber inzwischen läuft auch das mit etwas Gekicher. Sie sehen so aus als mache ihnen das Spaß.



Gemeinsam lernt es sich besser:
Fanti-Deutsch-Übungsrunde mit Sophia, Miriam & Julia
Will ich etwas veranschaulichen, muss ich selbst Bilder besorgen oder eben mit Worten erklären. Reicht die Vorstellungskraft meiner Zuhörer für das eine oder andere Thema aus? Ich weiß es nicht, aber mehr Material gibt es nicht. Kopien? Unnötiger Luxus. Ich denke heute Morgen an das viele, viele Papier, das ich in Deutschland regelmäßig durch den Kopierer jage. Manches davon ist eigentlich ganz unnötig. Ob ich mich umstellen werde, wenn ich wieder zu Hause bin und weniger Papier kopiere oder bedrucke? Vielleicht… ja, wahrscheinlich sogar – zumindest ein bisschen.
Nachsprechen ist hier sehr beliebt – laut, gerne im Chor, dann noch einmal einzeln. Im Fernsehen hatte ich das schon öfter gesehen, wenn Berichte aus Afrika oder Indien kamen. Nun mache ich es selbst, und meine Schülerinnen und Schüler machen mit. Die Zahlen von eins bis zwanzig waren es gestern, heute die Namen der Familienmitglieder, am Ende auch mit dem jeweiligen bestimmten Artikel. „Der Vater, die Mutter, der Großvater, die Großmutter, der Bruder, die Schwester…“, so klingt es aus meinem Klassenraum im Chor, während nebenan die deutschen Schülerinnen mit der gleichen Methode Fanti lernen. Die Aussprache ist auf beiden Seiten wirklich gut.
Mein Kollege John hat es heute am Ende der Fanti-Stunde mit einem Rollenspiel, einem kleinen Dialog, versucht, und die deutschen Schülerinnen haben das natürlich gerne mitgemacht. Sie kennen das ja. Solche Methoden habe ich hier noch nicht geschafft. Partnerübungen findet meine Gruppe bislang ziemlich komisch, und so orientiert sich immer wieder alles auf mich hin, auf Madam Müller. Ich würde das gerne mehr auflockern, aber ich habe ja noch zwei Wochen und zehn Deutschstunden Zeit. Mal schauen, ob ich nicht nur deutsche Worte, Formulierungen, Aussprache und Grammatikregeln erklären und vermitteln kann, sondern auch ein wenig von der doch ganz anderen Art wie wir zu Hause lernen und lehren. Vielleicht mache ich zum Abschluss ein Gruppenpuzzle oder eine Fishbowl-Diskussion. ;-)
Gewaltiger Lernfortschritt in nur drei Wochen:
Sophia begrüßt auf dem Symposium die Gäste
auf Deutsch!
Gerade eben wurde ich auf der Veranda vor den beiden Klassenräumen Zeugin eines Gesprächs zwischen dem Fantilehrer John Atta Mensah und Mary, einer Schülerin, die auch an den Vormittagsprojekten beteiligt ist. Mary drückte sich etwas schlapp und mit suchendem Blick am Türbalken herum. Sie hatte noch nicht gefrühstückt, berichteten mir später ihre deutschen Partnerinnen, und suchte wohl die Frau, die hier auf dem Schulhof günstiges Essen verkauft. Die war aber noch nicht da.
John wollte sie wohl von ihrem vermutlich bohrenden Hunger ablenken, und so fragte er sie auf Englisch über das Projekt und den Fortschritt aus. „Are you learning something, Mary?“ Sie war offenkundig nicht ganz sicher, wie sie das beantworten sollte. Lernt sie etwas? Ja, ganz bestimmt, aber aus ihrer Perspektive muss es ja fraglich sein, denn schließlich spricht sie momentan vormittags keinem Lehrer nach und sie schreibt auch wenig bis nichts von der Tafel ab, nachdem mein Deutschunterricht einmal beendet ist.
„Mary, this is how you learn! Not how we often do it. A parrot can repeat, but to learn you must understand, you must research. You must ask questions and think about what you read, then you must arrange all that information. It’s an active process, learning. Do you see?”
John ist Feuer und Flamme. Ich kann das auch sofort unterschreiben, was er gerade gesagt hat. Mary scheint immer noch nicht so ganz sicher, aber sie antwortet mit einem schüchternen „Yes“.

(Marion Müller)

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