Sonntag, 12. Februar 2012

Education is everything

Zwei Wochen sind wir inzwischen in Ghana, und wenn ich die hier verbrachte Zeit in meinem Kopf Revue passieren lasse, fügen sich die vielen kleinen, manchmal auch widersprüchlichen, nicht immer leicht erklärbaren Eindrücke und Erlebnisse langsam immer öfter zu einem Bild zusammen, das sich um ein zentrales Thema dreht. Zumindest ist das für mich so, und ich glaube, dass dies neben meinem eigenen Beruf damit zu tun hat, dass mein „persönlicher“ Einblick in die ghanaische Lebenswirklichkeit stark auf einen bestimmten Personenkreis zugeschnitten und damit eben auch begrenzt ist. Ich habe hier nämlich den engsten Kontakt zu jungen Ghanaern und Ghanaerinnen, die die Schule besuchen, sowie zu ihren Lehrern, meinen ghanaischen Kollegen. Ich habe es also vornehmlich mit so genannten Gebildeten zu tun, Menschen, denen „education“ ungeheuer viel bedeutet.
Und genau darum soll es in diesem Blogeintrag gehen – um meine inzwischen zahlreichen kleinen Eindrücke zum Thema Bildung und seine Bedeutung hier in Ghana – vielleicht auch ein wenig im Kontrast zu Deutschland, eigentlich aber zunächst einmal ganz wertfrei gedacht.

„Education is everything here“, so sagte es vorgestern in einem Gespräch am Rande des Koch-Workshops, den er mit fühlbarem Enthusiasmus begleitete, der stellvertretende Schulleiter der Moree Senior High Technical School. „If you are not educated nowadays, you are poor. And in future this will only get worse“.
Die Gegend um Cape Coast sei bildungsbevorzugt, so führte er aus. Viele, viele Schulen, kleine, große, teure, private, kostengünstigere, spezialisierte wie die Cape Coast School for the Deaf, vergleichswiese viele bildungsoffene Elternhäuser, eine hohe Rate an Menschen, die Bildung und Schulbesuch als hohes Gut ansehen und dafür sorgen, dass ihre Kinder zunächst lesen und schreiben sowie die Bildungssprache Englisch und dann möglichst noch mehr lernen. „Mehr“ bedeutet in diesen Familien so viel wie möglich – oft eine Rundumbildung im besten Sinne des Wortes, und so schließt der freundliche, des Englischen allerdings nicht mächtige Hausmeister zwar um fünf Uhr die Holzläden vor den glasscheibenlosen Fenster unserer ghanaischen Schule, aber in punkto Bildung ist hier dann noch lange nicht Schluss.
Gruppenbild mit dem Headmaster
und einigen ghanaischen Kollegen
auf der Schulveranda
Die überwiegend jungen ghanaischen Lehrer haben, wie ich in einem Gespräch am Ende unserer ersten Woche erfuhr, zwar eine Nachmittagspause, aber reihum kehren sie abends noch einmal in die Schule zurück. Dann ist hier Study Time – von sieben bis neun Uhr wird gemeinsam gelernt. Immer sind es verschiedene Themen, je nach Fachgebiet des Anbieters eben, aber alle im Dienste einer möglichst umfassenden Wissenserweiterung. Viele der Schülerinnen und Schüler, mit denen ich inzwischen gesprochen habe, gehen regelmäßig dort hin. Es scheint fast so eine Art Ehrensache zu sein. Nebenbei läuft dort Basis-Alphabetisierung für die zumindest in Teilen immer noch des Lesens und Schreibens nicht mächtige mittelalte und ältere ghanaische Bevölkerung. Zum Lernen scheint es hier nie zu spät zu sein – im wahrsten Sinne des Wortes. Und so traf ich neulich auf dem Heimweg ins Resort auch ein älteres Ehepaar in sichtlich ärmlicher Bekleidung, die irgendwoher wusste, dass ich „teacher from Germany“ bin und mir in radebrechendem Englisch berichteten, dass sie dorthin unterwegs seien, wo ich gerade herkäme. „We go school now. We learn reading and English“. Sie wirkten stolz und voller Vorfreude.
Morgens auf dem Schulweg sieht man die vielen bunten Schuluniformen, die es leicht machen, Jungen und Mädchen ihren jeweiligen Bildungseinrichtungen zuzuordnen. Direkt neben der Moree Senior High Technical School steht die Junior High School mit braun-gelben statt cremefarben-bordeauxroten Uniformen. Oben auf dem Hügel ist das Gebäude einer Basic School ebenso blau und sonnengelb gestrichen wie die Uniformen der dort beschulten Kinder leuchten. Lila-orange gehört zur Moree Orphanage School, einer Stiftung, und die so bekleideten Jungen und Mädchen fallen mir immer durch besondere Freundlichkeit beim Grüßen und extreme Freude am Englischsprechen auf. Keiner sagt so schön britisch angehaucht „Good afternoon, Madam!“ wie sie.
Schuluniformen also überall… Aber so fällt eben auch auf, wie viele Kinder und Jugendliche keine Schuluniform tragen und demnach vermutlich auch keine Schule besuchen. Nicht alle von ihnen sehen ärmlich oder verwahrlost aus. Diese Kinder gibt es auch, und ich sehe im Geiste wieder den laut heulenden vielleicht Anderthalbjährigen vor mir, der in der ersten Woche nur mit einem T-Shirt bekleidet an mehreren Tagen über den noch provisorischen Schulhof lief. Er hatte wirklich ein dickes Hungerbäuchlein, und seine vielleicht dreijährige Schwester, deren Aufgabe es offenbar ist, sich um ihn zu kümmern, schaute kaum weniger hungrig und verwahrlost aus.
Nicht so extrem wirken andere Kinder, denen ich öfter begegne, so etwa der ungefähr Achtjährige, der in den Pausen Plastiktütchen mit wohl hausgemachten Plantain-Chips an die Schüler der Moree Senior High Technical School verkauft – zwanzig Pesewa das Stück, genug für zwei Tütchen Wasser also – oder Edward mit seinem Bayern-München-Trikot. Ob sie je eine Schule von innen gesehen haben – und sei es nur einen so einfachen Basisbau wie die Happy Faces Primary School, die man auf dem Weg von Moree nach Cape Coast am Straßenrand passiert… ein paar weiß gekälkte, aber schon ewig nicht mehr gestrichene Wände, ein Wellblechdach, Tafeln, richtige Schulbänke oder sonstiges Material scheinbar Fehlanzeige? Ich bin skeptisch. Englisch sprechen beide Kinder offenkundig nicht, und Englischkenntnisse sind hier in Ghana nun einmal das Werkzeug, mit dem Bildung erworben wird, aber auch der Schlüssel schlechthin zu gesellschaftlichem Aufstieg.
Ghana investiere intensiv in ein Programm für kostenfreie Grundschulbildung, erzählt der stellvertretende Schulleiter, aber alle weiteren Schritte sind eben kostenpflichtig. Schon die Schulbekleidung selbst kann gerade kinderreiche Familien, wie es sie hier oft noch gibt, finanziell stark belasten. Immer wieder fällt mir auf, wie sorgsam die ghanaischen Schülerinnen und Schüler im Projekt mit ihren Heften, die die Schule speziell für ihren Unterricht herstellt und verkauft, umgehen. Die bunt bedruckten Collegeblöcke, die die meisten deutschen Schülerinnen mitgenommen haben, um sich Notizen machen zu können, werden von vielen ihrer Partner bewundert und insgeheim auch begehrt. Dass sich viele deutsche Mädchen ein ghanaisches Schulheft für ihre Fanti-Stunden gekauft haben, wurde von ihnen übrigens sehr positiv bewertet.
Schulbücher und -ausstattung – das ist überhaupt so ein Thema hier. Ich muss an das Geschichtsbuch denken, mit dem History unterrichtet wird. Es wirkt wie die Bücher, die bei uns in Deutschland in den 1960ern üblich waren – fast nur Text, kaum mal ein Bild, und dann höchstens schwarz-weiß. Das Buch behandelt die Zeit bis 1994, aber es ist das, was man hat. Also benutzt man es. So einfach ist das. Richtig zeitgemäß sieht mit unserer verwöhnten Brille betrachtet eigentlich nur das bunte, mit vielen Bildern gespickte Buch für Integrated Science aus. Aber wenn im Workshop ein Pinsel durchbricht, wird der nicht etwa entsorgt und durch einen anderen ersetzt, sondern mit einer cleveren Konstruktion aus etwas Leim und einem rasch geschnitzten Zapfen aus einem auf dem Hof gefundenen Ast repariert. Das allein spricht Bände.
Die modernen Laptops, die wir im Moment noch für das Projekt nutzen, werden wir hierlassen und damit die Ausstattung der Schule auf ein ganz neues Niveau heben. Man merkt schon jetzt, wie sich die Lehrer und viele Schülerinnen und Schüler darüber freuen, wie gerne sie mit Computerprogrammen und Software experimentieren. Die Lernfortschritte sind bereits gewaltig, und ich habe absolut keine Zweifel, dass die Geräte über lange Zeit hinweg hier einen hervorragenden Dienst tun werden. Ein Text, den ich im vergangenen Jahr mit meinem LK Englisch zum Thema Globalisierung gelesen habe, bezeichnete diese Problematik zwischen Schwellenländern und so genannter „erster“ Welt als „digital divide“ (digitale Kluft). Zumindest an der Moree Senior High Technical School wird diese digitale Kluft ab sofort etwas weniger tief sein, und dennoch frage ich mich manchmal, was Solomon, Philipp, Mary, Bernice, Vincent und all die anderen, denen wir hier drei Wochen lang begegnen, sagen würden, wenn sie unsere drei (!) prima ausgestatteten Computerräume, die Beamer an vielen Decken im SHG und die Smart oder interaktiven White Boards in vielen Oberstufenräumen sehen könnten.


Gespendete Laptops -
zumindest ein winziger Tropfen 

auf den heißen Stein
der Digital Divide
Bildungswillig, ja, geradezu bildungshungrig sind sie nämlich praktisch durch die Bank alle, die Angehörigen von Ghanas junger Generation, die ich hier kennenlernen durfte. Sie arbeiten hart für die Schule und sie wollen mehr Bildung, auch wenn sie dafür Opfer bringen müssen. Bildung ist ein Privileg – das ist eine Überzeugung, die sich durch fast alle Biographie-Texte zieht, die im Rahmen der Projektarbeit entstanden sind. Im Durchschnitt sind die ghanaischen Teilnehmer und Teilnehmerinnen auch älter als unsere deutschen Mädchen, teilweise schon Anfang oder gar Mitte zwanzig, und bei einigen liegt das auch daran, dass ihre Schullaufbahn zwischenzeitlich durch einen Mangel an finanziellen Mitteln unterbrochen wurde, wenn zum Beispiel ein Elternteil starb. Dann endet der Schulbesuch manchmal ganz abrupt. Manche haben wie etwa Bridgett, die als alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter eine zusätzliche finanzielle Last zu tragen hat, auch schon in der Elfenbeinküste gearbeitet, um sich Geld für weitere Schulbildung zu verdienen. Das Berufsziel Krankenschwester, das hier fast alle Mädchen vereint, mit denen ich gesprochen habe – ein angesehener und begehrter Beruf für ghanaische Frauen – kann so immer weiter nach hinten verschoben und doch immer wieder neu erträumt werden. Für wie viele Mädchen wird es aber niemals wahr?
Der Abschluss der Senior High School und dann der Sprung an die Universität, das ist das absolute Traumziel. Dann, so berichtete der stellvertretende Schulleiter, stehen viele, mit einem Doktortitel gar fast alle Türen weit offen. Aber der Weg dorthin ist mühsam, und viele, die ihn gehen wollen, werden wohl auch ohne eigenes Verschulden auf der Strecke bleiben. Und immer heißt es lernen, lernen, fleißig sein. Nicht wenige Biographien berichten über ein typisches Wochenende als eine Mischung aus Hausarbeit, Waschen der Schuluniform für die kommende Woche, Kirche und Lernen. Freizeitaktivitäten spielen ganz offenbar eine stark untergeordnete Rolle.
Und dennoch wirken die Jungen und Mädchen, die mir in der Schule begegnen, zufrieden. Sie lachen viel, sind überwiegend energiegeladen und überhaupt sehr gutmütig. Sie lassen sich ein auf ihre Aufgaben, sind neugierig und – vor allem dann, wenn sie über halbwegs flüssige Englischkenntnisse verfügen – diskussionsfreudig und humorvoll. Meine Deutschgruppe überrascht und begeistert mich immer wieder mit ihrer tollen Vor- und Nachbereitung des Stoffs. Offenbar lernen sie die Vokabeln einer Sprache, die sie zum größten Teil in ihrem Leben vermutlich nie wieder benötigen werden, gewissenhaft und freiwillig, wenn sie von der Schule nach Hause kommen. Ausgezeichnet finde ich das, und in meinem Kopf höre ich die Stimme von Elijah, der ausgerechnet dieses deutsche Wort zu seiner Lieblingsvokabel erkoren hat. Tag für Tag müht er sich nun an diesen vier deutschen Silben ab, die für ihn kaum aussprechbar sind. Aufgeben gilt nicht – dazu macht es ihm scheinbar viel zu viel Spaß. Und vielleicht bekommen wir das mit viel Üben bis zum kommenden Freitag noch hin mit dem „ausgezeichnet“.


Unterricht einmal anders (für ghanaische Verhältnisse):
Gruppenarbeit und eigenständige Präsentation
So ist es normal: Die Schüler hören zu, die Lehrer fragen,
wer antwortet, steht respektvoll auf
Schule in Ghana, so mein Eindruck nach zwei Wochen, ist kein Ponyhof. Die Lehrer sind „Sir“ und „Madam“, sie sind der Boss. Sie schreiben an, der Schüler schreibt ab. „Repeat after me…“ Das hört man hier oft. Die Schüler holen Schlüssel, Tafelstifte, Leitern, heben Müll auf, rupfen Unkraut, schleppen Mobiliar, reparieren auch Deckenventilatoren oder Neonröhren, sobald ein Lehrer den Befehl dazu erteilt. Widerspruch oder Kritik scheint es kaum (oder besser: gar nicht) zu geben. Vielleicht lästern die Schülerinnen und Schüler ja auf Fanti miteinander, was wir schließlich nicht verstehen können, aber wenn ein Lehrer befiehlt – und manche tun das in ziemlich barschem Ton! – wird grundsätzlich gehorcht.
Die deutschen Schülerinnen hat es teilweise ziemlich befremdet, als bei der allerersten Powerpoint-Präsentation ausgerechnet der sanftmütige und fleißige Maxwell von einem draußen am Fenster stehenden und zuhörenden Lehrer geradezu gegrillt und starker Kritik unterzogen wurde. Es war seine Premiere, denn so eine Art von Präsentation hat er doch noch nie gemacht, meinten sie empört, und überhaupt sei das insistierende Nachhaken des Lehrers nicht fair gewesen, denn Maxwell habe sich richtig Mühe mit dem Lautsprechen gegeben, und die Informationen, die der Lehrer bekrittelt hatte, seien doch auf der nächsten Folie gewesen. Maxwell, so das Fazit, tat den Mädchen anschließend richtig leid.
Zufällig fand ich mich am folgenden Tag, als mir einige Schülerinnen und Schüler die Fufu-Bude zeigten, wo sie normalerweise zu Mittag essen, Maxwell gegenüber, und in unserem Gespräch über dies und das berichtete ich ihm anschließend auch von der Sichtweise seiner deutschen Partnerinnen. Ich war neugierig, wie er die – auch aus meiner Perspektive harte – Kritik empfunden hat. Maxwell war jedoch die Ruhe selbst. „Yes, that teacher is a strict teacher. Everyone knows that“, so sagte er. “But this is how we learn. We respect him because he knows so much and he always wants to make us better.”
Meine persönliche Belastungsprobe im Hinblick auf die Unterschiede zwischen Schule in Deutschland und Schule in Ghana habe ich dann Anfang der zweiten Woche erlebt. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle gar nichts darüber schreiben, aber da der Vorfall im Blogbeitrag einer Schülerin auch eine Rolle spielt, habe ich meine ursprüngliche Meinung geändert. Es geht um das Thema Strafen, genauer gesagt um Körperstrafen, wie sie hier durchaus noch üblich sind.
Als ich am Dienstag zu meinem Deutschunterricht kam, stand auf der Veranda vor dem üblichen Klassenraum schon eine kleine Gruppe betreten aussehender Schülerinnen und Schüler mit zwei der jüngeren Lehrer, die hier ihr allererstes Dienstjahr nach der Universität absolvieren. National Service Year nennt sich das – ein Jahr, in dem der Staat den Lehrernachwuchs nach Belieben einsetzen kann. Wo auch immer, wie auch immer… „Unsere“ Schule in Moree hat eine ganze Gruppe solcher junger Lehrer, und auch wenn leicht zu spüren ist, dass sie in vielen Belangen wenig Entscheidungsfreiheit haben und den älteren Kollegen, sowie der Schulleitung stark untergeordnet sind, haben sie sich alle begeistert von ihrer Einsatzschule und den Arbeitsbedingungen gezeigt. Sie sind alle gerne hier in Moree.
Die dünnen weißen Stöcke, die sie an diesem Morgen bei sich führten, habe ich zunächst gar nicht bemerkt, und auch über den Grund der Versammlung habe ich mir keine Gedanken gemacht. Erst als ich in „meinen“ Klassenraum kam, fiel mir die unter den schon anwesenden Schülern ungewohnt gedrückte Stimmung auf. Was war da los?
Ich begann mit meinem vorbereitenden Tafelabschrieb, und sie fingen sofort mit dem Abschreiben an. Kein freundliches Geplänkel wie sonst üblich, und auf einmal stand einer der jungen ghanaischen Kollegen im Raum und berichtete mir mit peinlich berührter Stimme, die verriet, dass ihm das alles auch nicht recht war, dass drei meiner Schüler nach draußen kommen müssten. Zwei Jungen und ein Mädchen seien zu spät zum Unterricht gekommen und müssten nun bestraft werden. „We always tell them to be on time, but if they don’t learn, we must punish them“.
Blitzartig verstand ich beim Anblick der Gerte in seiner Hand, und konnte doch kaum glauben, dass das Realität war – und ich auf einmal mittendrin. Aber ich bin Gast in diesem Land, Gast an dieser Schule. Ich kann mich nicht auflehnen oder gar eine Revolution starten, egal wie intensiv mir jede Form von physischer Gewalt oder Demütigung als Erziehungsmaßname zuwider sind. Oder doch?
„Madam, they must come outside now“.
„What happens if they don’t come“?
Their punishment gets bigger”.
Was sollte ich tun? Die ghanaischen Schülerinnen und Schüler nahmen mir die Entscheidung ab und gingen auf die Veranda. Sie stellten sich der Strafe.
„Do you want to watch? It is your class they were late for.”
Mein Kollege fragte es schüchtern, und er kannte wohl die Antwort schon. Nein, das wollte ich mir ganz sicher nicht ansehen!
Dass ich dann letztlich doch zur Augenzeugin der Strafmaßnahme wurde, lag daran, dass sein zweiter Kollege sofort begann, als meine drei Schützlinge auf die Veranda kamen – direkt vor dem Fenster meines Raumes. Drei Hiebe mit der Gerte waren es, wahlweise scheinbar auf die Handinnenfläche oder auf den Oberschenkel. Die Jungen nahmen die Strafe scheinbar stoisch hin, während die Mädchen zeigten, dass dies keineswegs eine schmerzfreie Angelegenheit war.
Ich stand derweil vor meiner verbliebenen Deutschgruppe, konnte den Blick nicht abwenden und so tun als sei alles in Ordnung, und mein Gesicht muss wohl Bände gesprochen haben. „You don’t like this, Madam, do you?“ fragte dann auch eine Schülerin.
No, I really don’t like this.
„Don’t worry. We are used to it.”
Ich aber nicht. Und ich will mich daran nicht gewöhnen. Ich bin unglaublich froh, dass ich das in meinem deutschen Berufsalltag auch nicht muss!
Betreten kamen die drei Bestraften wenig später in die Klasse zurück, und der Unterricht ging weiter, fast so als sei nichts geschehen. Nur einer der beiden geschlagenen Jungen wirkte gedemütigt. Seine Körpersprache und sein Gesichtsausdruck sprachen – vor allem im Vergleich zu seinem sonst üblichen quietschfidelen Verhalten – Bände.
Und dennoch… Wie oft habe ich in den vergangenen zwei Wochen ghanaische Schüler und ihre Lehrer miteinander scherzen und angeregte Gespräche führen sehen? Wie offenkundig ist es, dass diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen ihren Lehrern mit ihrer maßgeblich von der Bildung, die sie erlangen, abhängigen Zukunft am Herzen liegen? Wie respekt- und oft auch liebevoll sprechen die ghanaischen Schüler von ihren Lehrern? Wie nachgiebig und großzügig können diese ghanaischen Kollegen plötzlich sein, wenn es darum geht, gemeinsam die Fußballübertragung Ghana – Sambia zu schauen oder einfach so an einem Workshop teilzunehmen, der sie interessiert?
Da unterscheiden wir uns in unserer Erziehungsphilosophie und unserer Freude am Beruf wieder kaum voneinander…
Eine Woche an Erfahrungen in der Moree Senior High Technical School steht noch aus. Ich bin schon gespannt, wie sie die komplexen bislang gesammelten Eindrücke ergänzen werden, ehe ich wieder zurück nach Deutschland fahre. Unendlich wertvoll und Stoff für intensives Nachdenken ist das, was mir bisher hier begegnet ist, schon jetzt.
(Marion Müller)

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