Donnerstag, 9. Februar 2012

Cape Coast Castle - "It's a shame, eh?"

Jeder von uns macht hier in Ghana seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse, aber manche Orte prägen sich besonders tief ein:


Nach dem schon sehr ereignisreichen Morgen, der mit dem Trip in den Regenwald begann, ging es direkt weiter zum Cape Coast Castle.



Geschichte hautnah: Besuch in Cape Coast Castle
Das Castle wurde ursprünglich im 17. Jahrhundert (um 1625) als schwedisches Fort gegründet, ging später in die Hände der Niederländer über, bis es schließlich im 19. Jahrhundert unter der Herrschaft Großbritanniens zum jetzigen Castle ausgebaut wurde. Nur zu diesem Zweck wurden Ziegelsteine aus UK importiert, und als Mörtel oder Putz benutzte man einen Staub aus gemahlenen Muscheln und Sand, wie uns der Guide später berichtete.
Die kalkweissen Mauern, in denen so viel Unrechtes geschehen ist und so viel Leid zugefügt wurde, strahlen uns entgegen, und fast sind wir froh in den Schatten des Durchgangs zukommen. Nicht nur um der gleissenden Sonne zu entgehen, sondern auch um nicht mehr so sehr geblendet zu werden. Noch ist uns nichts Genaueres bekannt, außer dass dieses “Schloss” (und es tut mir leid, es so ausdrücken zu müssen, doch eine treffendere und hamlosere Beschreibung gibt es kaum) eine Art “Zwischenlager” fuer Millionen von unschuldigen, versklavten Menschen war.
Unser Guide beginnt die Führung in dem sogenannten “Male Slave Dungeon”, wie an dem kleinen unscheinbaren Holzschild ueber dem Eingang zu lesen ist. Unsere lichtverwöhnten Augen brauchen einige Zeit, um sich an die Dunkelheit im Inneren zu gewöhnen. Unsicher gehen wir den schrägen, dunklen und sehr ausgetretenen Weg weiter hinunter, bis wir in einem Raum angekommen sind. Es sind eher mehrere Räume, die aber nur durch einzelne niedrigere Bögen abgetrennt sind. Es ist eine sehr sporadische Beleuchtung vorhanden, und ich will mir gar nicht vorstellen, wie es gewesen sein muss, mit nur ein oder zwei kleinen Lichtschächten hier unten gelebt haben zu müssen. Mindestens sechs Wochen lebten die versklavten Menschen hier auf engstem Raum zusammen. Zwischendurch schießt mir der Gedanke durch den Kopf, wie irsinnig es doch ist, sich jetzt noch nach so langer Zeit für etwas schuldig zu fühlen, an dem man gar nicht beteiligt war, doch das beklemmende Gefühl, das mich beschleicht, lässt sich nicht abschütteln. Ich kann nicht verhindern, mir den Raum voller Menschen vorzustellen, was mir aber nicht gelingt, denn auch meine Vorstellung kann das Leid in diesen Räumen kaum fassen. Mindestens 1000 (!) Männer lebten hier zusammen, und ich bin fast schon froh über die Gruppe um mich, denn nur schwer lässt sich der Drang unterdrücken, diesen Ort schnellstmöglich verlassen zu wollen. Die abgestandene, leicht modrige Luft verstärkt das Gefühl der Angst nur und lässt nur ein noch grausameres Bild der Geschehnisse hier unten zu.



Schließlich gehen wir in einen kleineren Nebenraum. Hier, so wird uns erzählt, war der “Toilletenraum”. Der Guide deutet auf eine kleine Rinne, die sich an den Wänden entlang und mitten durch den Raum zieht. Das Urinal, wie er erklärt... dann deutet er auf kleine, weiße Kreidemarkierungen an den Wänden ungefähr in Kniehöhe und er fragt, ob wir eine Ahnung hätten, was diese zu bedeuten hätten. Die ganze Gruppe schüttelt verneinend den Kopf, um kurz darauf das Gesicht vor Unglauben und auch vor Ekel zu verziehen, denn so hoch, so sagt der Guide, standen die Exkremente. Nach diesem recht schockierenden Vortrag fragt er wieder seine fast schon obligatorische und doch so treffende Frage: “ It’s a shame, eh?”
Als wir das Dungeon nach gefühlten Stunden endlich wieder verlassen, blendet die Sonne zwar noch mehr als zuvor, aber ich kann dem Drang nicht widerstehen, die frische, salzige Luft tief einzuatmen. Doch das ungute Gefühl lässt sich nicht so einfach abschütteln.
Wir gehen weiter und befinden uns nun auf dem Dach, welches genau über dem Dungeon liegt. Der Guide deutet nach oben, wo wir noch mehr kalkweiße Gebäude erkennen können. Die erste Kirche, so erklärt er, wurde genau über dem Sklavenlager erbaut und später zur Schule umgebaut, welche aber nur weisse Menschen besuchen durften.
Er zeigt uns ein paar Gräber von bedeutenden Menschen, zum Beispiel das des ersten Pfarrers dieser Kirche. Von einer Geschichte, die mir sehr in Erinnerung geblieben ist, möchte ich auch noch berichten. Ein britischer Gouverneur, dessen Frau noch zu Hause in England lebte, verliebte sich eine schwarze Frau aus Accra, welche aus einer angesehenen Familie stammte. Die beiden heirateten und lebten als Mann und Frau zusammen im Castle. Sie hatten auch eine Tochter. Als die erste Ehefrau aus England anreiste, um bei ihrem Mann zu sein und mit ihm in Afrika zu leben, musste sie mit Schrecken feststellen, dass er nun noch einmal verheiratet war und das auch noch mit einer farbigen Frau! Das war nicht nur Ehebruch, sondern auch gegen das englische Gesetz, das Ehen zwischen farbigen und nicht farbigen Menschen verbot, doch anders als heute konnte sie nicht einfach ins nächste Flugzeug Richtung England steigen und die Scheidung einreichen. Das traurige Ende dieser Geschichte ist, dass sich die verlassene Ehefrau mit Säure vergiftete und nun mit ihrem Mann und seiner Geliebten auf dem Dach des Castles begraben liegt. Von der unehelichen Tochter weiß man leider nichts Genaueres mehr.
Wir stehen auf dem blendend weißen Dach in der prallen Sonne, sind erschöpft, sowohl von dem erlebnisreichen Tag, als auch von der Hitze. Hinzu kommt die psychische Erschöpftheit, die aus den Berichten des Guides resultiert. Auch er scheint zu merken, dass es uns schwer fällt, ihm zu folgen, als er seinen Vortrag über die Verteidigung zum Meer hin hält. Er führt uns in einen kleinen Souvenirshop. Man merkt direkt, wie dieses bisschen “Normalität” uns Sicherheit gibt. Das Geplapper nimmt zu, es werden einander Schalen, Ohrringe und Postkarten gezeigt und diskutiert, ob man sich etwas kaufen soll oder nicht. Wenn auch nicht so aufgedreht und laut wie sonst, scheinen wir uns hier doch wohler zu fühlen, und sei es nur, dass man ein wenig aus der Sonne herausgekommen ist. Es werden dann tatsächlich kleinere Einkäufe getätigt, bis wir weitergehen.
Wir gehen zu einer kleinen Tür. "Bitte ducken", oder "Achtet auf euere Köpfe", warnt uns der Guide. Es ist kein Schild über der Tür, und ich erwartete wieder eine Art Dungeon, doch statt bergab, geht es zwei Stufen aufwärts in einen sehr kleinen Raum. Die Luft ist noch stickiger als im Dungeon. Ich bin froh, dass wenigstens durch die Tür etwas Sauerstoff zu uns dringt. Dicht gedrängt stehen wir beieinander und bangen, was kommen mag. Plötzlich hört man ein Knarren, und die Tür fällt zu. Urplötzlich sind wir in Dunkelheit gehüllt, und ich greife nach Laras Hand. Angstvolles Flüstern und protestierendes Rufen erfüllt die Luft, während ich nur hoffe, die Türe möge bald wieder aufgehen. Ein oder zwei Handys erleuchten den Raum etwas, und endlich sieht man wieder Licht. Die Tür hat sich geöffnet und jeder will raus!
Doch der Guide erklärt uns erst, was es mit diesem schrecklichen Ort auf sich hat. Hier wurden bis zu 50 Menschen eingesperrt, die sich gegen die Versklavung gewehrt hatten, und man liess sie ohne Essen und Trinken, bis auch der Letzte gestorben war. Frau Müller sagte etwas später sehr treffend zu mir, “Da wäre man, so furchtbar es klingt, am liebsten der Erste gewesen oder?”  Beim Hinausgehen werden Kratzer auf dem Boden erkennbar, die, wie der Guide erklärt, von den Gefangenen stammen. Jeder beeilt sich hinauszugelangen und geniesst es fast schon, von dem hellen Licht geblendet zu werden - ein Erlebnis, das die Menschen, die vor mehreren hundert Jahren hier eingesperrt waren, nicht mehr hatten.
Die Führung geht weiter zum Gate of no Return. Der Guide erklärt uns, dass es jetzt reastauriert wurde, sodass man aufrecht und mit mehreren Menschen hindurchgehen kann. Frueher waren die Sklaven gezwungen, einzeln hindurchzukrabbeln, um dann wie Sardinen gestapelt in ihre neue unfreie Zukunft gebracht zu werden. Doch dieses Tor hat auch eine einigermaßen schöne Geschichte. Nachdem die Sklaverei endgültig abgeschafft worden war und Ghana ein unabhängiger Staat geworden war, kamen zwei ehmalige Sklaven genau durch dieses Tor wieder zurück in ihre Heimat, und aus diesem Grund steht an der Außenseite ein kleines Schild mit “Gate of Return”. Der Guide hat leuchtende Augen, als er uns das berichtet, und man merkt ihm seinen Stolz an. Als wir an eben dieser Außenseite stehen und uns das kleine Schild angucken, geht das ghanaische Alltagsleben um uns herum weiter. Kleine traditionelle Fischerboote legen ab und Kinder spielen im Wasser. Ich bin zuerst geschockt, doch dann kommt mir der Gedanke, dass diese Mensche alle in Freiheit leben und dass die Welt sich ja auch dann weiterdreht, wenn sie fuer uns stehenzubleiben scheint... gerade wenn sie es in einer längst vergangenen Zeit tut.
Der Aufenthalt im “Female Slave Dungeon” ist zwar kürzer als der im “Male Slave Dungeon”, doch genauso schockierend. Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung und eigentlich nichts Besonderes, wird uns berichtet. Mir läuft es kalt den Rücken herunter, und ich bin sehr froh, dass die Führung bald endet, wie uns der Guide berichtet.
Er zeigt uns die Wohnung des Gouverneurs, und dann kommen wir in den letzten Raum: es ist eine große Halle, in der Bilder und T-Shirts verkauft werden. Hier wurden die Sklaven früher versteigert. Um sie besser anzupreisen, wurden sie vorher mit Öl eingerieben, und wenn man sie verkauft hatte, bekamen sie Brandzeichen auf Brust und Rücken. Es wurden die Intialen des Besitzers eingebrannt, zum Beispiel “QV” fuer Queen Victoria. Mit dieser schrecklichen Information geht für mich der Besuch im Cape Coast Castle zu Ende, denn das Museum zu besuchen, traue ich mich nicht mehr.
(Alice Gierke)

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