Mittwoch, 1. Februar 2012

Bilder aus Bildern

In dem Workshop, den ich hier drei Wochen lang hintereinander mit drei verschiedenen Teilnehmergruppen betreuen werde, geht es um Foto-Collagen. 
Wir machen also Bilder aus Bildern – eigentlich eine reizvolle Idee, doch zunächst läuft der Workshop schleppend an. Das liegt zum einen daran, dass in meiner Gruppe keine ghanaischen Schüler beteiligt sind, die auch bei den Vormittagsprojekten teilnehmen, zum anderen an der Materialgrundlage. Zu den zwei deutschen Schülerinnen gesellen sich sechs ghanaische Jungs, offenbar alle miteinander befreundet. Den Lehrbüchern nach zu urteilen, die sie bei sich haben, gehen sie alle in den gleichen Unterricht: Accounting. Es sind also zukünftige Buchhalter.

Die Kommunikation untereinander wird dadurch erschwert, dass sie zuerst nur Fanti sprechen. Als ich ihnen erkläre, dass die deutschen Mädchen kein Fanti können und die gesamte Gruppe bitte, Englisch miteinander zu sprechen, wird klar, dass ihnen das nicht bewusst war. Es war keine Absicht, und sie geben sich redliche Mühe mit ihrem Englisch, aber ich habe bei der Gruppenzusammensetzung wohl zumindest im Hinblick auf die Sprache Pech gehabt. Sie alle können Englisch gut lesen und verstehen, aber das Sprechen selbst… Da haben sie offenbar keine Übung. Sie sprechen leise und/oder sehr undeutlich, so dass ich viel mehr „dolmetschen“ und vermitteln muss als ich dies in einem Workshop eigentlich möchte. Hoffentlich wird das im Verlauf der Tage noch besser, wünsche ich mir stumm.
Die Bildersuche gestaltet sich allerdings interessant. Die deutschen Schülerinnen waren gebeten worden, dass sie Magazine und Zeitschriften von zu Hause mitbringen, die man für Collagenmaterial auswerten kann. Das haben die meisten auch getan. In Ghana, so berichtet Bruno, sei vergleichbares Material schwer zu bekommen. So liegt also in der ersten Sitzung, die im Klassenraum stattfindet, vor uns ein Stapel deutscher Hefte – viele davon Hochglanz, einige auch um das grobe Überthema erneuerbare Energien und Umweltschutz kreisend.
Ergebnis der dritten Workshopwoche:
Julia, Esther, Miriam, Frau Müller, Ellen
Die ghanaischen Schüler sind interessiert, gerade im Hinblick auf neue Technologien. Allerdings sieht man ihnen irgendwann eine Frage an, die einer unter ihnen schließlich auch stellt: „So, all these nice things in the magazine… everyone in Germany have them?“
Nein, natürlich hat nicht jeder Deutsche ein Hybridauto der neuesten Generation, Sonnenkollektoren, ein energieeffizientes Luxushaus an einem malerischen kleinen See, eine topmoderne Küche mit dem neuesten elektronischen Schnickschnack. Aber wie soll ich das glaubhaft erklären?
So richtig weiß ich nach der ersten Sitzung nicht, wie es mit dem Workshop weitergehen soll, aber ich hoffe auf den zweiten Tag, an dem wir uns im Resort treffen. Dort gibt es größere Tische und mehr Licht als nachmittags im abgedunkelten Klassenraum. Tatsächlich kommen „meine Jungs“, wie ich sie unbewusst nenne, zwar etwas später, weil sie noch bis drei Uhr in ihrer Accounting-Klasse waren, aber sie sind vollzählig. Das freut mich!
Wir stellen uns mit Namen vor. Ich hoffe, ich kann James, Andrew, Frank, Francis, Emmanuel und Co. bald auseinanderhalten. Wir sitzen auf der Veranda an zwei zusammengeschobenen Tischen und schneiden nach der Vorstellungsrunde zunächst einmal Bilder aus, die uns individuell interessieren. Ich denke, ein Thema können wir später noch finden – hoffentlich habe ich Recht.
Und plötzlich… plötzlich kommt Bewegung in das Ganze. Interessant ist, dass die ghanaischen Schüler sich heute für ganz andere Bilder entscheiden als sie gestern fasziniert betrachtet haben. Die Abbildungen deutschen Luxuslebens werden ignoriert. Bilder mit Problembezug – schlechte Wasserversorgung, Obdachlosigkeit, Kriegsfolgen, aber auch Bilder mit starken Farben, Naturabbildungen werden bevorzugt. Auch die deutschen Schülerinnen wählen interessanterweise überwiegend Naturbilder.
Ich bitte den Schüler zu meiner Rechten, Andrew, dass er alle Bilder aus einer Plastikhülle nimmt und einzeln hochhält. Jeder solle etwas zu seinen ausgewählten Bildern erzählen. Warum interessieren sie ihn? Was verbindet er mit ihnen? Auf der Basis dieser Aussagen will ich mit der Gruppe nach einem gemeinsamen Oberthema für die Collage suchen. Und siehe da – es läuft plötzlich! Alle geben sich redliche Mühe mit ihrem Englisch, erklären teils auch ausführlicher und sehr anschaulich. Und bald ergibt sich sogar ein roter Faden: Heimat, was sie uns bedeutet, gleich ob sie nun in Ghana oder in Deutschland ist, wie sie Menschengemeinschaften gesund und zufrieden halten kann und was wir Menschen tun müssen, um ein gesundes, positives Leben zu führen.


Resultat der ersten Workshop-Woche:
"Heimat"-Bildcollage auf ghanaischem Paw-Paw-Leaf
Besonders beeindruckt bin ich von einem Schüler, der zwar in radebrechendem Englisch, aber sehr ernsthaft und durchdacht über die Zusammenhänge zwischen Wasserversorgung, Gesundheit, Hygiene, Nahrung und Luftqualität spricht. Man merkt ihm bei jedem, teils mühsam gefundenen Wort an, wie wichtig ihm dies für seine eigene Gemeinschaft in Moree, für ganz Ghana, aber auch für die weitere Welt ist. Die anderen Schüler pflichten ihm nickend bei. Auch die deutschen Schülerinnen stimmen zu. Man versteht sich irgendwie nun doch, auch wenn ich mir mehr eigenständige Kommunikation zwischen den einzelnen Teilnehmern und Teilnehmerinnen wünschen würde. Aber die sprachlichen Hürden sind eben einfach ziemlich hoch.
Nun haben wir ein Thema, wir haben eine Reihe von Bildern, wir sind also schon recht weit, wenn wir am Freitag eine fertige Collage haben wollen. Irgendwie wäre es schön, wenn diese nicht nur flach auf Papier kleben würde. Eine deutsche Teilnehmerin hatte die Idee, eine landestypische Form aufzugreifen. Ein Bananenblatt vielleicht? Ja, aber besser ein „pawpaw leaf“, sagen die ghanaischen Schüler, als sie die Idee einbringt. Und einer unter ihnen kann hervorragend zeichnen, ergänzen die anderen. Stimmt. Das kann er wirklich. Aus dem Handgelenk zeichnet er einen Umriss und die Blattstrukturen als Skizze. Das brauchen wir noch größer, und irgendwie habe ich plötzlich das Gefühl, die Collage könnte richtig gut werden. Schauen wir mal, was Mittwoch, Donnerstag und Freitag im Workshop noch passiert, und natürlich auch, wie diese Workshoprunde sich im Vergleich zu denen der zwei Folgewochen entwickeln wird.
Ich bin jetzt jedenfalls neugierig und definitiv positiver gestimmt als nach der ersten Sitzung.
(Marion Müller)

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