Mittwoch, 15. Februar 2012

Mo rokɔ skuul

Das bedeutet auf Fanti „Ich gehe zur Schule“, und genau darüber, über unseren Schulweg, möchte ich eigentlich schon länger einen kleinen Text für den Blog schreiben. Er unterscheidet sich nämlich wirklich grundlegend von meinem üblichen deutschen Schulweg, zwanzig Minuten entlang der A40 von Mülheim-Winkhausen nach Duisburg-Häfen. Wenn ich trödele oder in der Mittagshitze eine schwere Tasche zu schleppen habe, brauche ich hier in Ghana auch etwa zwanzig Minuten, aber damit enden die Gemeinsamkeiten bereits.



Der Weg vom direkt am Meer gelegenen Moree Beach Resort hin zur Schule am Ortsrand von Moree führt über eine hügelige und staubige, nicht asphaltierte Piste mit ordentlich Bodenwellen, die ich mir lieber nicht in der Regenzeit vorstellen möchte. Hier laufen wir also alle an jedem Morgen entlang. Ich bin meistens etwas früher unterwegs als die Schülerinnen, weil ich in Ermangelung von Lehrbüchern und Kopien gerne die Whiteboard in „meinem“ Klassenraum mit Worten, Grammatik und Aufgaben fülle, ehe mein Deutschunterricht beginnt. Außerdem kann ich, wenn ich solo unterwegs bin, besser beobachten und nachdenken.
Es gibt einige interessante Dinge zu sehen auf diesem für ghanaische Verhältnisse eigentlich gar nicht spektakulären Schulweg. Für mich macht das pure Anderssein die kleine morgendliche Wanderung schon besonders. Großartig ist zum Beispiel immer wieder der Ausblick über die Bucht, die man vom ersten erklommenen Hügelkamm aus genießen kann. Einfach nur schön! Wie ein schmaler Halbmond erstreckt sie sich bis hin an den Hafen von Moree. Fischerboote liegen vor dem Hafen vor Anker oder kehren morgens gerade vom nächtlichen Fischfang zurück. In der zweiten Woche, als hier Harmattan herrschte, verschwammen sie ebenso wie die Häuser von Moree im Dunst, aber inzwischen liegen sie wieder glasklar erkennbar im glitzernd blauen Wasser.
Die einzigen Makel, die man entlang dieses Weges beobachten kann, sind einige Stellen, an denen kleine Buschfeuer gelegt wurden. Schwarz verkohlt liegen Flecken von Gebüsch und Gestrüpp nun in der Landschaft. Bush burning, so wird dies hier genannt und auch während der Projekt-Präsentationen der letzten Tage immer wieder thematisiert, ist ein ganz großes Problem in Ghana. Buschfeuer gelten einerseits traditionell als schneller Weg, um eine Parzelle Land nutzbar zu machen, andererseits dienen die mutwillig gelegten Feuer auch oft einfach der Abfallbeseitigung. Gerade Plastikabfall, wie er leider in großen Mengen am Straßenrand und in den Sträuchern liegt (Hauptübeltäter sind hier die schon einmal beschriebenen Wassertütchen), wird gerne so entsorgt, aber auch Reifen werden manchmal auf diese Weise verbrannt. Dass dieses Verfahren in einem eher trockenen Land wie Ghana ziemlich gefährlich und vor allem alles andere als umwelt- und gesundheitsfreundlich ist, wissen die ghanaischen Schülerinnen und Schüler zwar, aber eine rechte Lösung, wie man wilde Buschfeuer verhindern soll, haben sie derzeit auch nicht. Und so sind auch während unserer inzwischen zweieinhalb Wochen hier vor Ort links und rechts des Schulweges drei neue schwarz verkohlte Stücke Land hinzugekommen.
Noch einen weiteren Hügel geht es anschließend hinauf, dann um eine kleine Kurve, und sofort kommt etwas bergab meine persönliche Hauptattraktion des Schulwegs nach Moree in Sicht – die kleine Werft, in der die hier typischen Holzfischerboote von Hand angefertigt werden. In ganz verschiedenen Stadien der Bearbeitung und Fertigstellung liegen sie hier in einer kleinen Talmulde, immer etwa zehn Stück, und werden von Männern und wenigen Frauen in kleinen Teams weiter bearbeitet. Manche sind noch wenig mehr als leicht ausgehöhlte Baumstämme, während andere Boote schon fast fertig aussehen. Das einzige elektronische Werkzeug, das ich in den Tagen hier bislang gesehen (und gehört!) habe, ist eine Motorsäge – bedient übrigens von einem barfüßigen jungen Mann in Shorts, der auf einem schrägen Holzbrett stand und keinerlei Schutzkleidung trug. Ansonsten kommen aber in der Hand gehaltene Hacken und Äxte zum Einsatz, mit denen die Baumstämme in scheinbar unermüdlichem Fleiß ausgehöhlt werden.


Boote - noch nicht ganz fertig
Hier gibt es eigentlich immer etwas zu beobachten. Allerdings sind viele der Werftarbeiter im Vergleich zu den sonstigen Menschen, die mir auf dem Schulweg begegnen, auffallend zurückhaltend. Sie sagen selten von sich aus das hier so weit verbreitete „Good morning! How are you?“, aber wenn einmal Blickkontakt hergestellt ist, erwidern sie Grüße und winken auch gelegentlich einmal zurück. In den letzten Tagen scheinen sie sich auch immer mehr an die Horde weißer Menschen zu gewöhnen, die mehrmals am Tag ihre Arbeitsstätte in Richtung Moree oder zurück ins Resort passieren.
Nachmittags arbeiten sie manchmal unter mobilen Sonnensegeln, die wohl ein wenig Schatten spenden sollen, aber eine Siesta nach spanischer Art scheint es nicht zu geben, und auch wenn wir nach den Workshops am späten Nachmittag wieder in Gegenrichtung unterwegs sind, ist die Arbeit noch lange nicht getan. Heute haben die Männer offenbar, während wir in der Schule waren, eins der halb fertiggestellten Boote, dessen Rumpf bereits einen Aufbau aus Holzbohlen hat, allein mit ihrer physischen Kraft auf die Seite gedreht, so dass ein einzelner Arbeiter den Innenraum weiter bearbeiten konnte. Was für ein Kraftakt das gewesen sein muss – einen Kran oder eine Hebelvorrichtung kann ich jedenfalls weit und breit nicht erkennen.
Was man sich wohl kaum vorstellen kann, wenn man nicht selbst hier vor Ort gewesen ist, ist der wunderbare Geruch, den das weiche Holz in der Sonne verströmt. Er vermischt sich mit den Aromen der in den verschiedensten Farben bunt blühenden Bäume und Sträucher, die den weiteren Weg säumen. Keine Pflanze an sich trägt besonders viele Blüten, aber betrachtet man sie genauer, sieht man, wie schön viele der für uns exotischen Blüten und Blätter sind.
Nach der Werft geht es den Hügel wieder bergab, und sofort kommt rechterhand das Krankenhaus von Moree in Sicht. Hier wird gute Arbeit geleistet, und die Krankenschwestern grüßen immer freundlich, wenn wir uns begegnen. Unter hohen alten Bäumen entlang geht es links noch über einen kleinen Bach, ehe die Hauptstraße, die aus Moree herausführt und weiter oben auf die Straßenkreuzung bei Moree Junction stößt, in Sicht kommt. Hier ist der Treffpunkt für alle möglichen Aktivitäten. Taxis setzen ihre Kunden ab und sammeln neue Fahrgäste ein, Autos wenden, und jeden Morgen sind Scharen von bunt gekleideten Schulkindern in den unterschiedlichsten Uniformen unterwegs. 

Diese Straße mit zum Glück deutlich geringerem Verkehrsaufkommen als auf der A40 gilt es also nur zu überqueren, und dann steht man schon fast auf dem noch unbearbeiteten Schulhof der Moree Senior High Technical School. Wie es hier in Zukunft einmal aussehen soll, zeigt das Gebäude der Junior High School direkt nebenan, das bereits einen eingeebneten und teilweise asphaltierten Innenhof hat, auf dem sich morgens immer alle Schüler in ihren braun-gelben Uniformen versammeln, ehe es in die Klassenräume geht.
In „unserer“ Schule hoppeln wir noch mit den hier grasenden Ziegen über Stock und Stein und ein paar ausgetrocknete Furchen von LKW-Reifen, aber das ist alles vermutlich nur eine Frage der Zeit, denn der Headmaster und sein Kollegium haben ehrgeizige Pläne mit der Senior High School. Oben auf dem Hügel erkennt man den schon recht weit gediehenen Rohbau eines weiteren Trakts mit Klassenräumen, und auch ein Hostel soll hier auf dem Schulgelände entstehen, in dem Gäste der Schule und einzelne Internatsschüler dann übernachten können und verköstigt werden. Falls alles nach Plan läuft, soll die Moree Senior High Technical School bald bis zu 1000 Schüler und Schülerinnen unterrichten können. Genug Energie zum Umsetzen dieser ambitionierten Pläne scheint mir auf jeden Fall vorhanden zu sein.
(Marion Müller)

1 Kommentar:

  1. Hallo Frau Müller
    Vielen Dank,für ihre gute und detaillierte Berichtserstattung.Mit großen Interesse lese ich ihre Erlebnisse.Dickes Lob und Anerkennung für sie.
    Monika Schmitz

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