Donnerstag, 2. Februar 2012

Zukunftspläne?

Nach dem dritten Workshop-Tag packt mich ziemlich plötzlich eine Welle der Nachdenklichkeit...
Für diese Nachdenklichkeit gibt es auch einen guten Grund, der jedoch nur am Rande mit dem Workshop an sich zu tun hat. Spätestens seit heute ist mir klar, dass diese spezielle Kunstform der Foto-Collage definitiv nicht das optimale Ausdrucksmedium für mindestens die Hälfte meiner Workshop-Teilnehmer ist. Ich kann es ihnen irgendwie nicht verdenken, und wirklich selbst gewählt haben sie meine Gruppe ja auch nicht. Eher war es eine ungeduldige Zuteilung durch ihre Lehrer, damit alle Workshops gleich stark besetzt wurden. Sie konnten hier halt mit ihren Freunden zusammen bleiben und haben vielleicht deswegen nicht protestiert.

Trotzdem, sie zeigen sich, auch wenn sie das Ausschneiden von Fotos und das Anordnen auf den inzwischen skizzierten und ebenfalls ausgeschnittenen Paw-Paw-Blättern wahrscheinlich ordentlich albern finden, kooperativ und brav, wenn auch heute wieder sehr schüchtern im Hinblick auf mündliche Kommunikation. Sie sind es eben – leicht erklärbar durch den üblichen ghanaischen Unterrichtsstil – gewohnt, brav zu tun, was der Lehrer sagt. Insofern schätze ich mich glücklich, dass ich die gleiche Aufgabe nicht einer Gruppe gleichaltriger deutscher Jungs aufs Auge drücken muss. Ich wette, die würden weniger brav Bilder ausschneiden. Aber Spaß und Freude an der Arbeit – nein, das sieht auch hier in Ghana definitiv anders aus.
Nun ist es aber zumindest bei zwei oder drei der männlichen Mitglieder meines Workshops ganz bestimmt nicht so, dass sie das grundsätzliche Thema unserer gemeinsamen Arbeit, die bis Freitag schon irgendwie fertig werden wird, nicht interessiert. Im Gegenteil! Besonders James und Francis hätten sicher unter anderen Bedingungen viel zu sagen über die Themen Natur, Umweltschutz, öffentliche Hygiene, Gesundheit, verantwortliche Lebensgestaltung… wenn, ja, wenn wir drei Deutschen Fanti sprächen – oder sie die englische Sprache nicht nur passiv, sondern auch aktiv besser und differenzierter beherrschen würden. All dies beschäftigt sie in seinen komplexen Zusammenhängen intensiv und ist ihnen eine Herzensangelegenheit, wenn sie an ihr Land und ihre Gemeinschaft in Moree denken. Ich finde es sehr schade, wie viel an wichtigen und guten Inhalten hier wahrscheinlich zwischen uns ungesagt bleiben muss.
Irgendwann ist auch diese Workshoprunde vorbei. Zweimal werden wir uns noch treffen, und spontan erzähle ich den Ghanaern, dass deutsche Jugendliche sich mit „Tschüss“ verabschieden. Das Wort scheint ihnen zu gefallen, wie ich schon heute früh in meiner zweiten Deutschstunde gemerkt habe. Sie machen beim Nachsprechen „Tschüssi“ daraus, und als die deutschen Schülerinnen ihnen sagen, dass es auch diese verniedlichte Formulierung gibt, haben wir zur Abwechslung echte Kommunikation.
Einige Jungs brechen sofort auf (insgeheim wahrscheinlich erleichtert, dass der alberne Unsinn mit der Collagenbastelei für heute erledigt ist), aber drei von ihnen bleiben zurück und debattieren auf Fanti miteinander. Ich warte, ob sie mir noch etwas sagen wollen und höre mehrfach das Fanti-Wort für die eigene Sprache heraus, das John mir beigebracht hat. Dann fassen sie sich ein Herz und fragen mich auf Englisch, ob ich schon Fanti gelernt habe. Ich erwidere mit den wenigen Phrasen, die ich hier und da aufgeschnappt habe, u.a. mit der Fanti-Abschiedsformel für „Auf Wiedersehen!“. Das passt ja sehr gut auf die Situation, denn ich hoffe inständig, dass sie trotz allem morgen zurückkommen, und ich habe es offenbar auch halbwegs passabel ausgesprochen, denn ich erhalte begeisterte Zustimmung und Lob.
In rascher Folge bringen sie mir mehr Worte bei: Lehrerin, männlich, weiblich, Meer, Fluss, Wasser, Luft, alte Frau (ich nehme das jetzt mal nicht persönlich!) und noch einige andere mehr. Ich spreche brav nach und habe Freude an der plötzlich sehr kommunikativen Situation. Sie haben jetzt auch Spaß – und wie! Plötzlich ist die Schüchternheit verschwunden, und auch mit dem Englischen klappt es etwas besser.
Wir reden noch ein wenig miteinander über Ghana und die Schule, und spontan stelle ich eine Frage, die ich auch in Deutschland manchmal Schülerinnen stelle: Was habt ihr denn für Pläne für euer Leben nach der Schule?
Ich bin neugierig – mich interessiert das einfach, und heute in der Schule in Moree habe ich schon mit ein paar anderen ghanaischen Schülern aus den Projektgruppen genau darüber gesprochen. Einer möchte Elektriker werden, einer will zur Armee (am besten zu den Blauhelmen der United Nations), eine Schülerin gab Polizistin als Berufswunsch an. Hier aber drucksen Francis und James, bei denen ich basierend auf ihren Äußerungen beim Erklären ihrer Bilderauswahl an etwas Medizinisches, an einen Ingenieurberuf oder sonst vielleicht wegen ihrer Lehrbücher an Buchhaltung gedacht hatte, ein wenig herum. Schließlich erklärt James es mir:
„See, Madam, we come from very poor families. We have no money, so we must get job. Then we earn money. I want further education, and when I have money, I get further education. One day I get it.”
Die scheinbar gelassene Akzeptanz, mit der er dies schildert und sich dann zusammen mit Francis freundlich von mir verabschiedet, lässt mich ziemlich nachdenklich zurück.
(Marion Müller)

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