Sonntag, 5. Februar 2012

Celebration of life

Schon vor einer Woche, an unserem ersten Sonntag in Ghana, als alles noch ganz frisch war und die vielen bunten, chaotischen Eindrücke mich in ihrer puren Andersartigkeit während unseres ersten Ausflugs nach Cape Coast auch ein wenig zu erschlagen drohten, sind sie mir aufgefallen: An vielen Hauswänden und den sonntäglich verschlossenen Holzbretter-Buden, in denen wochentags das ghanaische Geschäftsleben tobt, kleben gedruckte Poster, manche noch ganz strahlend frisch, andere schon von der Sonne ausgebleicht oder fast bis zur Unleserlichkeit verwittert. Sie alle zeigen Gesichter von Menschen, die in auffälligem Kontrast zu den überwiegend jungen Menschen, denen man auf der wuseligen Straße begegnet, alt sind. „Celebration of life“, so lautet eine vielfach verwendete Überschrift, aber auch „Home Call“ oder „In loving memory“.
Spätestens diese Überschriften machen deutlich, dass es sich nicht etwa um Wahlplakate handelt, sondern um Nachrichtenposter, mit denen öffentlich bekannt gemacht wird, dass ein älterer Mensch verstorben ist. Die Aushänge geben neben dem Foto einige Informationen zum Alter, zu Biographie und zur Rolle, die der entsprechende Mensch in der örtlichen Gemeinschaft gespielt hat, und sie laden vor allem zur Teilnahme an der Beerdigung ein. So ist auch der Ausdruck „Home Call“ zu verstehen – Ruf nach Hause. Einerseits ist damit im hier rund um Cape Coast stark christlich geprägten Ghana gemeint, dass der Verstorbene „nach Hause“ in die Ewigkeit, wie wir es ausdrücken, gerufen wurde, andererseits sollen aber auch Verwandte und Freunde zur Beisetzung nach Hause zurückkehren, wenn sie zum Beispiel inzwischen in Accra oder gar im Ausland arbeiten und leben.
Dass Beerdigungen wichtige Anlässe sind, die anders als in Deutschland in aller Öffentlichkeit und als Gemeinschaft in Erinnerung an den Verstorbenen zelebriert werden, konnten wir gestern auf der Fahrt von Moree zum Kakum National Park erleben. Fast in jeder Ortschaft, durch die uns unser Weg führte, sahen wir festlich und edel gekleidete Männer, Frauen und Kinder ganz in schwarz. Immer wieder kamen sie aus Kirchen, liefen am Wegesrand oder saßen auf dem örtlichen Platz im Viereck auf Plastikstühlen, häufig neben einer Kapelle oder unter bunten Zeltplanen. Einmal schien der gesamte Ort auf den Beinen zu sein, um Abschied zu nehmen. Und immer wieder sieht man diese Poster am Straßenrand – Celebration of life. Mir gefällt dieser Gedanke, das gelebte Leben eines Menschen gemeinsam zu feiern und sich liebevoll (in loving memory) seiner Taten und Erlebnisse zu erinnern.
Hohem Alter wird in Ghana – einer unglaublich jungen Generation – viel Verehrung entgegengebracht. Im Vergleich zu Deutschland fällt die geringe Zahl alter und sehr alter Menschen, die einem begegnen, schon deutlich auf, denn fast jeder Ghanaer, der unterwegs ist scheint maximal Mitte zwanzig zu sein. Und allerorten sind Kinder zu sehen, fast immer zusammen in Gruppen unterwegs, sobald sie grob das Alter eines deutschen Kindergartenkindes erreicht haben. Die ganz Kleinen werden überall von ihren Müttern oder älteren Schwestern im Tragetuch auf dem Rücken transportiert, wo sie entweder mit wachen Augen die wuselige Welt um sich herum bestaunen oder in den Schlaf geschaukelt werden.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich vielleicht auch ein riesiges Poster am Straßenrand, das in einem Außenbezirk von Cape Coast mindestens in Werbetafelgröße ein Portrait eines in einem Anzug gekleideten, gütig lächelnden, etwas beleibten Mannes mit Brille zeigt. Diesmal ist es keine Beerdigungseinladung, denn der Dargestellte erfreut sich offenbar noch guter Gesundheit. Happy birthday on your 80th, Nana, from all your loving children, grandchildren, great-grandchildren and your extended family“, so steht dort geschrieben, und dann noch dies: “May your presence in our midst continue to bless us for many years yet to come.”
Ein noch viel höheres, beinahe schon biblisches Alter hat eine Frau erreicht, deren Spuren wir überall in den Ortschaften auf halber Strecke zwischen Cape Coast und Kakum begegnen. Rose Nkatadziwe hieß sie, und vielleicht liegt es an der Tatsache, dass sie 96 Jahre alt war, als sie starb, dass ihr besonders viele Poster gewidmet sind. Ronny, der in unserem Minibus eingezwängt vorne zwischen mir und dem Fahrer sitzt, erzählt später, er habe sogar an einer Tankstelle ein T-Shirt gesehen, das mit dem Konterfei der uralten Dame bedruckt war. Auch hier wieder feiern die Ghanaer ihre Beerdigung nach einem langen, langen Leben als „celebration of life“.
(Marion Müller)

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